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Gesellschaftlicher Zusammenhalt als lokale Machtfrage

C_01 – Projekt des FGZ Göttingen – Projekt des FGZ Konstanz – Projekt des FGZ Leipzig

Ziel des Arbeitspakets (AP) ist es, gesellschaftlichen Zusammenhalt als Ausdruck lokaler Machtbeziehungen zu untersuchen. Diese Machtbeziehungen manifestieren sich in Gestalt und Gestaltung öffentlicher Güter und Infrastrukturen, die insbesondere durch die Durchsetzungsfähigkeit einzelner lokaler Akteur:innen geprägt sind. Hier kommt kommunale Politik über ihre gewählten Repräsentant:innen (Bürgermeister:innen oder Landrät:innen) genauso ins Spiel wie Vertreter:innen der Verwaltung, zivilgesellschaftlich engagierte Bürger:innen in Vereinen, Genossenschaften oder Verbänden, lokale Gewerbetreibende in Handel und Handwerk, sowie lokale Korporationen wie beispielsweise Rotary- oder Lions-Clubs. Sie alle – Akteur:innen aus Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft – verfolgen mit Blick auf öffentliche Güter und Infrastrukturen unterschiedliche Interessen, verfügen über ungleiche Ressourcen und handeln auf der Grundlage je unterschiedlicher Motive. Das AP fragt vor diesem Hintergrund: Unter welchen Bedingungen ist es innerhalb lokaler (Akteurs-)Zusammenhänge möglich, ein gemeinsames kommunales Anliegen (loyalty) mit Blick auf Infrastrukturen zu verfolgen und wann führen formelle und informelle Machtbeziehungen zu voice-Strategien, also beispielsweise zu Protest, oder zu exit-Strategien, beispiels­weise zur Abwendung von kommunalen Politiken? Welche Entscheidungen und welche Vorstellungen gesellschaftlicher Gestaltung stärken oder schwächen den lokalen Zusammenhalt? Wie werden in Spiel- und Konfliktfeldern zu Infrastrukturen und öffentlichen Gütern, in lokalen Arenen der Macht, gesellschaftliche Bindekräfte mobilisiert oder demobilisiert? Damit greift das AP die Fragestellungen des Schwerpunkts nach den Faktoren und Formen lokalen Zusammenhalts sowie die Frage des Themenfelds nach bindenden und trennenden Effekten in der Gestaltung von Infrastrukturen und öffentlichen Gütern auf. 

Das AP befasst sich mit ökonomischen und finanziellen Voraussetzungen einer kohäsiven Politik der öffentlichen Güter und wir schauen in die Kommunalparlamente und auf die besondere Dynamik der Kommunalpolitik, wenn es um das Balancieren von unterschiedlichen lokalen Interessen zu Infrastrukturentscheidungen geht; zudem verfolgen wir zivilgesellschaftliche Initiativen, die mit der Kommunalverwaltung kooperieren, aber nicht selten mit der Selbstbehauptung zwischen Politik und Wirtschaft zu kämpfen haben, in ihrer Gestaltungsmacht von Infrastrukturen und öffentlichen Gütern. 

Das AP konzentriert sich hierbei auf den lokalen (Nah-) Raum: Es geht nicht um die „große“ Macht in Berlin oder Brüssel, sondern um basale Machtbeziehungen und -strukturen vor Ort. Zusammenhalt wird in diesem Forschungsvorhaben nicht als Ergebnis eines wohlwollenden Miteinanders vor Ort, sondern als Ausdruck von Machtbalancen und machtgeprägten Aushandlungsprozessen konzipiert. Der lokale Fokus ermöglicht die Erfassung der Unmittelbarkeit der Entscheidungen, der Sichtbarkeit und der Präsenz lokaler Akteur:innen und Netzwerke. Es zielt auf die interdisziplinäre Entwicklung einer an Machtbeziehungen orientierten Typik lokaler Kohäsionspolitik. Dabei orientieren wir uns am komplexen Machtbegriff bei Hans-Paul Bahrdt, der mit seinen Überlegungen an Popitz, Weber und Plessner anschließt. Macht ist hiernach eine soziale Beziehung, ein ökonomisches Verhältnis und eine institutionelle Ordnung. Die empirische Forschung orientiert sich an dieser Triade: 

  • Weiterentwicklung des Konzepts der Sozialen Orte – die beziehungsorientierte Perspektive auf Macht: Für die Untersuchung von lokaler Macht und Zusammenhalt spielen Soziale Orte, verstanden als innovative und kooperative Infrastrukturen sozialen Zusammenhalts vor Ort, eine besondere Rolle: es geht bei Sozialen Orten um pragmatische Zusammenarbeit, strategische Allianzen und tragfähige kommunale Bündnisse, in denen sich Verteilungs-, Gerechtigkeits- und Ressourcenfragen bündeln. Der Göttinger Standort nimmt in diesem Kontext Interaktionsprozesse und Einflussnahmen lokaler Akteurskonstellationen in den Blick. Analysiert werden soziale (Macht-)Beziehungen und die materiellen Ressourcen, mit welchen Akteur:innen ausgestattet sind, und in denen personale, positionelle und symbolische Macht zum Ausdruck kommen. Wer sind diejenigen, die auf kommunaler Ebene den Takt vorgeben und die Verantwortung für Veränderung übernehmen? Welche lokalen Machtstrukturen und Einflussstrukturen können gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und befördern – oder herausfordern und verhindern? Wie stark oder schwach sind eigentlich lokale Eliten? Welches Interesse haben sie an Zusammenhalt vor Ort?
  • Kommunale Haushalte – die ökonomische Perspektive auf Macht: Der Leipziger Standort greift diese Fragen auf und überträgt sie auf den kommunalen Haushalt, indem Macht und Zusammenhalt als fiskalischer Prozess betrachtet wird. Die Erweiterung um diesen Aspekt verspricht wertvolle Einblicke in die konkreten Gestaltungsmöglichkeiten lokaler Akteuer:innen. Haushaltspläne und finanzstatistische Daten weisen die Ergebnisse von Verhandlungen im Lichte von Machtkonstellationen nach. Da Budgets zu Zahlen geronnene Politikentscheidungen repräsentieren, stellt sich als zentrale Frage aus finanzwissenschaftlicher Perspektive: Wie gestaltet sich die Machtausübung konkret in formalen lokalen Haushaltsprozessen und informellen Parallelprozessen, in denen die Ausstattung politischer Zielvorgaben mit materiellen Ressourcen ausgehandelt wird? Und wie wirkt dies auf Fragen des Zusammenhalts vor Ort; beispielsweise kann eine als unfair empfundene Verteilung von Geldern auch ein Katalysator für exit-Strategien sein.
  • Integrationsarbeit vor Ort – die institutionelle Perspektive auf Macht: Der Standort Konstanz akzentuiert institutionelle Macht, verstanden als verwaltungsinterne, kommunale Strukturen und finanzielle Systeme. Exemplarisch werden kommunale Integrationsakteur:innen, das heißt Integrationsbeauftragte und lokal agierende (post-)migrantische Vereine in den Kommunen, perspektiviert. Sie sind aktuell aufgrund der Politisierung der Migrationsdebatte unter Druck gesetzt und ihre Arbeit sowie ihre langfristige Finanzierung wird vermehrt in Frage gestellt. Im Mittelpunkt steht daher die Frage, wie sich kommunale Intergrationsakteur:innen in kooperativen Praktiken – das heißt durch gegenseitige Bezugnahme, durch Allianzen oder gemeinsames Agenda Setting – organisieren, um sich gegen machtvolle Diskurse der Delegitimation kommunaler Integrationsarbeit durchzusetzen; kurz: Wie es ihnen gelingt, durch informelle Macht ihre institutionelle Macht in den Kommunen zu erhöhen und wirksame Infrastrukturen der Integration vor Ort aufzubauen. Ziel des transferorientierten Moduls ist es, die Resilienz kommunaler Integrationsarbeit durch Bildungsangebote, Austauschformate und die Stärkung positiver Narrative kommunaler Integrationsarbeit zu fördern – und damit kohäsive Strukturen vor Ort nachhaltig zu gestalten. 

In diesen drei Hinsichten auf das Thema Zusammenhalt und lokale Machtverhältnisse kristallisiert sich unsere Forschungshypothese, dass der Zusammenhalt vor Ort in hohem Maße das Produkt von Interessendurchsetzung, von der Verfügbarkeit von Ressourcen sowie von machtfähigen formellen und informellen Netzwerken ist. Die innovative Kombination und die interdisziplinäre Kooperation unserer Schwerpunktsetzungen ermöglicht einen fallorientierten Tiefenblick auf die Genese und Dauerhaftigkeit von lokalem Zusammenhalt in Zeiten starken demographischen Wandels, kommunaler Überlastung, fiskalischer Auszehrung und sozialer Fragmentierung.

Projektleiter:innen und Kontakt

Dr. Mario Hesse
Leipzig

Dr. Mario Hesse

Seit 2018: Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für Kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS)Seit 2018: Postdoktorand am Institut für…
hesse@wifa.uni-leipzig.de
Dr. Kathrin Leipold
Konstanz

Dr. Kathrin Leipold

Seit 2021: beim FGZ2020-2021: Referentin für Hochschule und Forschung in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landeszentrale…
kathrin.leipold@uni-konstanz.de
Prof. Dr. Berthold Vogel
Göttingen

Prof. Dr. Berthold Vogel

Seit 2023: Professor für Soziologie Universität GöttingenSeit 2020: Vorstandsmitglied Energieforschungszentrum NiedersachsenSeit…
berthold.vogel@sofi.uni-goettingen.de

Projektmitarbeiter:innen

 Kevin Eljezi
Leipzig

Kevin Eljezi

Seit 2023: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am FGZ2022-2023: Wissenschaftliche Hilfskraft am Kompetenzzentrum für kommunale…
eljezi@wifa.uni-leipzig.de
 Sarah Herbst
Göttingen

Sarah Herbst

Seit 10/2020: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI)2019-2020: Studentische Hilfskraft…
sarah.herbst@fgz-risc.de
 Maike Reinhold
Göttingen

Maike Reinhold

Seit 2019: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI)2018: Master of Arts in Soziologie …
maike.reinhold@sofi.uni-goettingen.de

Laufzeit, Cluster und Forschungsfelder

Laufzeit:

06/2024 – 05/2027
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