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Forschungsprogramm „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“

Zentrale Leitfragen

In der zweiten Förderperiode (2024-2029) des FGZ stehen zwei Leitfragen im Mittelpunkt des Forschungs- und Transferprogramms, die in ihren wechselseitigen Bezügen bearbeitet werden sollen: 

  • Wie wird der gesellschaftliche Zusammenhalt gerade in Zeiten von Krisen und Transformationen beansprucht und wirksam, zugleich aber auch belastet und gefährdet?
  • Was sind die spezifischen normativen Kriterien und empirischen Bedingungen, Gefährdungen und Wirkungen eines demokratischen Zusammenhalts – auch im Vergleich zu und im Wettbewerb mit alternativen Konzeptionen von Zusammenhalt? 

Ausgehend von diesen übergreifenden Leitfragen ist das Forschungs- und Transferprogramm der zweiten Förderphase in vier Themenfeldern organisiert, die im Sinne von interdisziplinären und standortübergreifenden Abteilungen zusammenarbeiten. Den Themenfeldern sind wiederum insgesamt 39 Arbeitspakete zugeordnet.

 

Vier Themenfelder

Die vier Themenfelder gliedern sich nach gesellschaftlichen Kontexten, in denen sich jeweils spezifische Beanspruchungen und Gefährdungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts zeigen und sich, auch in vergleichender Perspektive, zu Kernfragen demokratischen Zusammenhalts verdichten lassen. So geht es um die Krise der Demokratie (Themenfeld A), um die Gefährdung gesellschaftlichen Zusammenhalts durch soziale Ungleichheiten und Spaltungen (Themenfeld B), um die zentrale, aber oft übersehene und vernachlässigte Rolle von Infrastrukturen und öffentlichen Gütern (Themenfeld C) und um die Verschiebungen diskursiver Hegemonien und identitätspolitischer Konflikte, insbesondere durch die Neue Rechte (Themenfeld D).

Themenfeld A: Politik des demokratischen Zusammenhalts 

Demokratischer Zusammenhalt konstituiert sich zum einen in den institutionellen und zivilgesellschaftlichen Kontexten demokratischer Teilnahme und Teilhabe, die durch die aktuellen Krisen- und Transformationsdynami­ken unter verstärkten Druck geraten und zum Gegenstand von Auseinandersetzungen werden. Die betreffenden Institutionen sehen sich mit einem Vertrauensverlust und dem Erstarken subversiver Kräfte konfrontiert. Ob dabei Zusammenhalt „verloren“ geht, ob er sich rekonstituiert oder ob darin nur sichtbar wird, wie brüchig bzw. ideo­logisch definiert er war, wird zu untersuchen sein. Ein besonderer Fokus liegt zudem auf der begrifflichen und normativen Bestimmung demokratischen Zusammenhalts. Welche Rolle Zusammenhalt für die politischen Reaktionen auf Transformationsprozesse spielt, d.h. unter welchen Bedingungen er zur Akzeptanz (loyalty) politischer Inter­ventionen beiträgt, wann er Partizipation und Protest (voice) befördert oder eine Abkehr (exit) vom politischen Prozess provoziert, ist eine zweite zentrale Fragestellung des Themenfelds. Vor diesem Hintergrund wird schließlich die Frage virulent, wie ein demokratischer Zusammen­halt auszusehen hätte, der die zentrifugalen Effekte von Polarisierungstendenzen und politischen Konflikten im Sinne produktiven politischen Streits einhegen könnte. Hier sind mithin die politisch-rechtlichen Bedingungen des Zusammenhalts das zentrale Thema. 
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Themenfeld B: Sozioökonomische Status- und Verteilungsordnungen 

Ökonomische und soziale Ungleichheiten lassen die Legi­timität einer auf formaler Chancengleichheit und stetigem Wachstum basierenden Status- und Verteilungsordnung brüchig werden, während zugleich neu gewachsene Gleichheitsansprüche etablierte Ungleichheitsordnungen nach Geschlecht oder Ethnizität infrage stellen. Vor die­sem Hintergrund ist zu klären, wieviel Ungleichheiten ein demokratischer Zusammenhalt verträgt und inwie­fern die Gesellschaft in Segmente zerfällt, die mit jeweils unterschiedlichen oder gar konfligierenden Vorstellungen und Praktiken des Zusammenhalts die gesellschaftlichen Transformationsprozesse jeweils unterschiedlich verarbei­ten, gestalten oder blockieren. Thema sind folglich die soziostrukturellen Bedingungen des Zusammenhalts und insbesondere die Frage, wie ein demokratischer Zusammen­halt ungleicher Gesellschaften möglich ist. 
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Themenfeld C: Infrastrukturen und öffentliche Güter 

Die Herausforderungen der Pandemie, der Digitalisierung und der Klimakrise stellen die Resilienz und Adaptions­fähigkeit öffentlicher Güter und Infrastrukturen, auf die der gesellschaftliche Zusammenhalt zugleich angewiesen ist, auf die Probe. Vor diesem Hintergrund widmen sich die Forschungen des Themenfelds einer – in der bisherigen Forschung vernachlässigten – Schlüsselfrage des demokra­tischen Zusammenhalts, nämlich der Existenz und Tragfä­higkeit öffentlicher Infrastrukturen und der Bereitstellung öffentlicher Güter. Themenfeld C fragt nach den bindenden und trennenden Effekten von Infrastrukturen und öffent­lichen Gütern und nach dem Verhältnis von öffentlicher Verantwortung und zivilgesellschaftlicher Initiative bei der Erstellung öffentlicher Güter vor Ort. Damit werden auch die räumliche Dimension gesellschaftlicher (Neu-) Ordnungen und die entsprechenden Praktiken auf kommu­naler und regionaler Ebene zum Thema: Hier geht es um die Infrastrukturen des demokratischen Zusammenhalts. 
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Themenfeld D: Kulturelle Dynamiken des Zusammenhalts 

Unter zunehmender sozialer – und medial befeuerter – Kor­rosion scheinen kollektive Wissensbestände wie Selbst- und Weltbilder zu zersplittern und unverhandelbare Identi­tätskonflikte ins Zentrum sozialer und politischer Aus­einandersetzungen zu rücken, die den demokratischen Zusammenhalt herausfordern. In Themenfeld D werden Prozessdynamiken und Wechselwirkungen von materiellen Grundlagen, institutioneller Ordnung und Sozialstrukturen mit Kommunikations- und Deutungsmustern, Semantiken, Imaginationen und Diskursen untersucht. Es geht um die Dynamiken, die sich bei der Herstellung, Gefährdung und Diskussion von Zusammenhalt zwischen Diskursen und Strukturen entfalten. Hier fragen wir nach den gegenwär­tigen und historischen Varianzen von Zusammenhaltsvor­stellungen und den Faktoren, die für ein Verständnis ihrer Entstehungsbedingungen und der Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden Zusammenhaltskonzeptionen maßgeblich sind. Welche Formen generationellen Wandels, welche Sozialisationsfaktoren, welche medialen Dynami­ken, welche epistemischen und hegemonialen Prozesse spielen dabei eine Rolle? 
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Das Forschungsprogramm der ersten Förderphase (2020-2024)

In seiner ersten Förderphase (2020-2024) wurden am FGZ 109 Forschungs- und Transferprojekte durchgeführt, die drei verschiedenen Forschungsclustern zugeordnet waren.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt – ein umstrittener Begriff mit zahlreichen Verwendungsweisen

„Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ ist ein analytisch wie normativ umstrittener Begriff. Diese Eigenschaft teilt er mit vielen neuzeitlichen Leitkonzepten sozialer Ordnung. Er ist deshalb nicht umstandslos als wissenschaftliche Kategorie zu verwenden, sondern muss auf seine Verwendungsweisen hin analysiert werden: Was verstehen Menschen in unterschiedlichen sozialen Gruppen, Milieus, Räumen, Institutionen, Ländern und Epochen unter gesellschaftlichem Zusammenhalt? Wie „leben“ sie ihn in ihren Praktiken? Finden wir eine übergreifende Gemeinsamkeit oder Ähnlichkeit in den Vorstellungen, Praktiken und sozialräumlichen Modellen gesellschaftlichen Zusammenhalts – oder variieren diese nach bestimmten räumlichen und Gruppenzugehörigkeiten, bis hin zu miteinander unvereinbaren Werteordnungen? In welchem Zusammenhang steht dies mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen? Wie kann in der Zusammenführung solcher Perspektiven gesellschaftlicher Zusammenhalt theoretisch – sowohl normativ als auch analytisch – gehaltvoll bestimmt und gegebenenfalls auch empirisch operationalisiert, beschrieben und gemessen werden?

Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Forschungsheuristik

Gesellschaftlicher Zusammenhalt bezieht sich seinen Verwendungsweisen folgend auf Gemeinwesen, deren Mitglieder über positive Einstellungen zueinander und zu ihrem Gesamtkontext verfügen, in dem sie als Handelnde in Praktiken und Beziehungen involviert sind, die einen Gemeinschaftsbezug haben und sich in komplexe institutionelle Prozesse der Kooperation und Integration einfügen, die von den Gesellschaftsmitgliedern thematisiert und evaluiert werden. Zusammenhalt existiert dort, wo diese Ebenen eine bestimmte Qualität aufweisen und hinreichend (was ebenfalls näher zu bestimmen ist) übereinstimmen – in den Einstellungen, Handlungen, Beziehungen, Institutionen und Diskursen innerhalb einer Gesellschaft.

Diese Arbeitsdefinition dient dazu, die Aspekte und Konstitutionsbedingungen von Zusammenhalt (als Zustand oder Prozess) zu differenzieren und in einem Zusammenspiel unterschiedlicher wissenschaftlicher Methoden untersuchen zu können. Sie ist normativ neutral gehalten, da sie weder festlegt, welcher Art die geforderten Einstellungen sind und welche Quellen diese haben, noch vorbestimmt, wie stark und explizit der Gemeinschaftsbezug der relevanten Praktiken ist und welche Form sozialer Kooperation und Integration hinreicht, um von Zusammenhalt zu sprechen. Dies heißt jedoch nicht, dass nicht unterschiedliche normative Vorstellungen von Zusammenhalt, die in der Gesellschaft anzutreffen sind und einander gegebenenfalls widerstreiten, Gegenstand der Untersuchungen sind; und es heißt auch nicht, dass – auch hinsichtlich des Transfers in die Praxis – die Forscher:innen des FGZ sich keine normativen Positionen zum Zusammenhalt in einer modernen Demokratie zutrauen. Sie sind sich aber dessen bewusst, dass dies ein eigens auszuweisender, methodisch zu reflektierender Schritt ist.

Leitfragen und Forschungsschwerpunkte des FGZ

Aus den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatten zum Komplex sozialer Zusammenhalt ergeben drei unterscheidbare Problemperspektiven, die sich in den Leitfragen und Forschungsschwerpunkten des FGZ wiederfinden: Was ist gesellschaftlicher Zusammenhalt? Was erzeugt und was gefährdet gesellschaftlichen Zusammenhalt? Wie wirkt gesellschaftlicher Zusammenhalt? Wie variieren gesellschaftlicher Zusammenhalt und seine diskursive Produktion historisch und regional? Das FGZ setzt seinen ersten Schwerpunkt auf begriffliche und theoretische Fragen vor dem Hintergrund der sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen liberaler Demokratien. Zweitens untersucht es die Entstehungsbedingungen und Gefährdungen gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie seine Auswirkungen auf politische, sozioökonomische und kulturelle Strukturen und Prozesse. Im dritten Forschungsschwerpunkt werden schließlich die Lösungsversuche liberal-demokratischer Gegenwartsgesellschaften für das Problem gesellschaftlichen Zusammenhalts mit historischen Vorläufersituationen verglichen. Hier wird nach den globalen Kontexten und Verflechtungen dieser Zusammenhaltsvorstellungen gefragt.

Forschungsstruktur

In seiner ersten Förderphase (2020-2024) sind unter dem Dach des FGZ sind 109 Forschungs- und Transferprojekte versammelt, die sich mit unterschiedlichen Aspekten gesellschaftlichen Zusammenhalts beschäftigen. Dabei gehen sie den Leitfragen des Instituts nach Begriff, Entstehungsbedingungen, Gefährdungen und Wirkungen gesellschaftlichen Zusammenhalts aus einer Vielzahl disziplinärer und methodischer Perspektiven nach. Diese thematische, disziplinäre und methodische Pluralität der Forschungsvorhaben ist eine besondere Stärke des FGZ, die sich aus der Integration von elf Standorten mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu einem Institut ergibt. Gleichzeitig stellt sie das FGZ jedoch vor die Herausforderung, seine Forschungsaktivitäten so miteinander zu verkoppeln, dass das besondere Erkenntnispotential interdisziplinärer Forschung für die gemeinsame Arbeit an den Leitfragen des Instituts genutzt werden kann. Im FGZ wird diese Funktion durch drei aufeinander bezogene Forschungscluster sowie eine Sequenz von thematischen Leitfragen für die Jahrestagungen des Instituts gewährleistet.

Die Forschungscluster

Die drei Cluster sind interdisziplinär angelegt. Sie arbeiten zwar jeweils zu allen Leitfragen des Instituts, setzen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte. Den drei verschiedenen Clustern kommen in der Struktur des FGZ drei zentrale Funktionen zu: Erstens bieten sie Foren an, die durch regelmäßige Veranstaltungen den systematischen Austausch zwischen den Forschenden an den verschiedenen Standorten ermöglichen. Zweitens dienen sie als Inkubatoren, die die Plattform und organisatorischen Ressourcen für standortübergreifende Publikations- und Transferprojekte bieten. Drittens sind die Cluster Kompressoren, die die Forschungsergebnisse der Einzelprojekte zu den Leitfragen des Instituts bündeln, verdichten und schließlich in die Diskussion des Gesamtinstituts – etwa im Rahmen der Jahrestagungen – einspeisen. Die Cluster werden jeweils von einem der koordinierenden Standorte organisiert und von der zentralen Forschungskoordination unterstützt und begleitet. Innerhalb jedes Clusters sind mehrere Forschungsfelder angesiedelt, die Projekte mit ähnlichen thematischen Schwerpunkten versammeln.

Weitere Informationen zu den Forschungsclustern:

Cluster 1

Cluster 2

Cluster 3