Sozio-ökonomische Ungleichheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt
FRA_F_05 – Projekt des FGZ Frankfurt am Main
Zielsetzung / Fragestellung
Angesichts zunehmender ökonomischer Disparitäten in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in anderen westlichen Ländern (vgl. Atkinson 2015; OECD 2011) widmet sich das Forschungsprojekt der Frage nach den möglichen Folgen für die Akzeptanz von grundlegenden Minimalnarrativen einer prozessual „zusammenhaltenden“ Gesellschaft. Ausgehend sowohl von allgemeinen Überlegungen zum Zusammenhang zwischen ökonomischer Ungleichheit und gesellschaftlichem Zusammenleben (etwa Wilkinson and Pickett 2009, 2018) als auch von der polit-soziologischen Literatur zu den sozioökonomischen Bestimmungsfaktoren des sozialen und politischen Vertrauens (Uslaner 2002; Uslaner / Brown 2005) steht zu vermuten, dass die zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen, aber auch die zugrundeliegenden strukturellen Veränderungen der Arbeitsmärkte und Beschäftigungsstrukturen sowie die daraus resultierenden, zunehmend unsicheren individuellen Arbeitsmarktperspektiven zu einer Aushöhlung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beigetragen haben könnten.
Im Rahmen des Projekts soll die Bedeutung veränderter ökonomischer Rahmenbedingungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zunächst mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland seit der Wiedervereinigung herausgearbeitet und empirisch abgeschätzt werden. Als Dispositivbegriff verstanden, in welchem sich neben dem Aspekt der affektiven Verbundenheit auch die Erwartung von und Bereitschaft zu gegenseitig vorteilhaften kontingenten Interaktionen ausdrückt, wird zur empirischen Operationalisierung des gesellschaftlichen Zusammenhalts vor allem auf das Ausmaß des generalisierten (sozialen) Vertrauens in die Mitbürger*innen sowie auf das Ausmaß des Vertrauens in die grundlegenden demokratischen Institutionen und Entscheidungsprozesse rekurriert; im weiteren Projektverlauf sollen dann auch daraus abgeleitete Überzeugungen wie etwa Solidaritätsbereitschaften gegenüber spezifischen Bevölkerungsgruppen (etwa Arme, Zuwanderer*innen, Geflüchtete) beziehungsweise Ausgrenzungsprozesse (boundary-making, in-group- / out-group-Differenzierung) in die Analyse einbezogen werden. Diese Elemente subjektiver Überzeugungssysteme werden in der empirischen Analyse in Bezug zu faktischen makroökonomischen Veränderungen, aber auch zur persönlichen ökonomischen Position, zu faktischen ökonomischen Mobilitätserfahrungen beziehungsweise zu deren jeweiliger subjektiver Wahrnehmung gesetzt. Leitfrage der Analysen wird sein, ob, wann beziehungsweise unter welchen Umständen und für welche Bevölkerungsgruppen welche (makro- oder mikro-)ökonomischen Faktoren Werthaltungen beeinflussen, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt konstitutiv sind. Soweit empirisch möglich, sollen Prozesse der status anxiety, der räumlichen und funktionalen sozialen Segregation operationalisiert und als mögliche Mechanismen des Zusammenhangs von ökonomischen Rahmenbedingungen und sozialem Zusammenhalt herausgearbeitet werden.
Thematischer Bezug zu gesellschaftlichem Zusammenhalt
Mit den Fragen nach dem grundlegenden sozialen beziehungsweise Institutionenvertrauen in der Bevölkerung werden fundamentale Werthaltungen und Orientierungen adressiert, die für den voluntaristischen und prozessualen Zusammenhalt in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft konstitutiv sind. Mit dem Projektvorhaben soll ermittelt werden, ob und in welchem Umfang diese Werthaltungen durch makrostrukturelle wirtschaftliche Veränderungen beziehungsweise durch persönliche wirtschaftliche Unsicherheiten gefährdet werden. Der Zugang des Projektvorhabens ist empirisch-analytisch und dient der Analyse der Quellen beziehungsweise möglicher Gefährdungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie in einem weiteren Sinn der kumulativen Entwicklung einer Theorie des Zusammenhangs von ökonomischen Rahmenbedingungen und sozialem Zusammenhalt.
Atkinson, Anthony B. 2015: Inequality. What Can Be Done?, Cambridge, MA.
Brown, Mitchell; Uslaner, Eric M. 2005: Inequality, Trust, and Civic Engagement, in: American Politics Research 33:6, 868-894.
OECD (Hrsg.) 2011: Divided We Stand. Why Inequality Keeps Rising, Paris.
Uslaner, Eric M. 2002: The Moral Foundations of Trust, Cambridge.
Wilkinson, Richard; Pickett, Kate 2009: The Spirit Level. Why Equality Is Better for Everyone, London.
Wilkinson, Richard; Pickett, Kate 2018: The Inner Level. How More Equal Societies Reduce Stress, Restore Sanity and Improve Everyone’s Wellbeing, London.
Projektleiter:innen und Kontakt
Prof. Dr. Markus Gangl
Laufzeit, Cluster und Forschungsfelder
Laufzeit:
01 / 2021 – 12 / 2023Cluster und Forschungsfelder:
- Cluster 2: Strukturen, Räume und Milieus des Zusammenhalts
- C2: Milieu und soziale Ungleichheiten