Das Arbeitspaket (AP) arbeitet ein grundlagen- wie wissenstransferbezogenes Profil für den Zusammenhang von Jugend und gesellschaftlichem Zusammenhalt heraus und legt für den Schwerpunkt 2 zentrale Sozialisationsdynamiken in der jugendkulturellen Produktion und Reproduktion gesellschaftlichen Zusammenhalts frei. Es fokussiert Jugendliche als Akteure und generationale Einheit(en) und untersucht ihre alltagskulturell (re-)produzierten Orientierungen, Mentalitäten und Handlungspraktiken in Zeiten gesellschaftlicher Krisen, kultureller Konflikte und globaler Transformationen.
In der gegenwärtigen Forschungsdiskussion zur politischen Sozialisation Jugendlicher und junger Menschen wird auf Unzufriedenheit sowie die Fragilität und Uneindeutigkeit in der Zustimmung für eine demokratisch-deliberative Zusammenhaltsordnung – und damit auch für eine Konzeption „demokratischen Zusammenhalts“ – hingewiesen. Jugendstudien indizieren, dass mit dem Vorliegen populistischer Haltungen, ebenso wie aufgrund zunehmend selbstorganisierter Formen der Politisierung oder auch apathischer Positionierungen, sich eine ambivalente Erfahrung der gegenwärtigen Ordnung des Zusammenlebens von Jugendlichen in Verhältnissen kumulierter Unsicherheit dokumentiert. Das zeigt sich nicht nur eingängig in jüngeren Wahlergebnissen, sondern auch auf der grundsätzlicheren Ebene der (politischen) Alltagskultur in formellen (u.a. Familie und Schule) wie informellen Kontexten der Politisierung (u.a. Social Media und selbstorganisierten Gruppen).
In diesen Kontexten verhandeln Jugendliche alltagsweltlich politische Erfahrungen mit diskursiven Konfliktarenen wie Migration, Klimaschutz oder Geschlechterverhältnissen, in denen um symbolische und materielle Güter gerungen und politische Dispositionen der Selbst- und Weltdeutung hervorgebracht werden, die sich biographisch verfestigen oder im Kontext historischer oder biographischer Ereignisse und Erfahrungen infrage gestellt und transformiert werden können. Um die handlungsleitenden Deutungen der jugendkulturell vermittelten, gesellschaftspolitischen Arenen auszuleuchten, werden im AP drei Achsen der Beobachtung miteinander verknüpft, die sich in die folgenden leitenden Forschungsfragen übersetzen: Wie wirken sich Krisen und Konflikte auf politische Orientierungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt aus und inwiefern induzieren diese einen Wertewandel bzw. Generationenkonflikte? Wie werden mediale Sozialisationskontexte als politische Orientierungsräume relevant und wirken sie sich auf gesellschaftlichen Zusammenhalt aus? Welche politischen Orientierungen und Vorstellungen gesellschaftlichen Zusammenhalts liegen jugendspezifischen Handlungspraktiken sowie dem Engagement Jugendlicher in unterschiedlichen Organisationsformen zugrunde und welche Wechselwirkungen zwischen ihnen werden sichtbar?
Ullrich Bauer und Baris Ertugrul arbeiten dafür familiale Dynamiken der politischen Sozialisation Jugendlicher heraus und beobachten hierzu zwei, in der gesellschaftstheoretischen Forschungsdiskussion thematisierte, sozio-moralische Großmilieus, die sich in (gesellschafts-)politischen Konfliktfragen generisch traditionalistisch oder universalistisch positionieren. Fokussiert wird dabei, wie Jugendliche in Abhängigkeit von ihren milieuspezifischen Erfahrungsräumen diese politische und polarisierte Öffentlichkeit wahrnehmen und Elemente daraus in ihre gesellschaftlichen Deutungsmuster integrieren. Der analytische Schwerpunkt liegt dabei auf den Vollzugslogiken generationaler Transmissions- und Transformationsprozesse in Familien auf der Mikroebene, worüber makrologische Skalierungen zu gesellschaftlichen Wandlungsprozessen (unter Einbezug der quantitativen Jugendpaneldaten, s.u.) ermöglicht werden sollen.
Das Teilvorhaben von Holger Backhaus-Maul, Jörg Dinkelaker und Cathleen Grunert fragt vertiefend, welche gesellschaftlichen Ordnungs- und Partizipationsvorstellungen in engagementbezogenen Handlungspraktiken Jugendlicher angesichts der sozial-ökologischen Krise und gesellschaftlicher Transformationsdynamiken zum Ausdruck kommen. Besondere Aufmerksamkeit finden dabei intra- und intergenerationale Auseinandersetzungen über Vorstellungen von gesellschaftlichem Zusammenhalt und sozial-ökologischen Transformationspfade in ausgewählten Regionen (vgl. Regionalpanel B_08).
Isabell Otto geht mit Meike Hein der Frage nach, wie sich in den Interaktionen auf Social Media medienkulturelle Formen herausbilden, mit denen sich jugendliche User:innen über generationalen Zusammenhalt verständigen und gesellschaftliche Transformationen bearbeiten. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht nur die zirkulierenden Inhalte, sondern auch das praktische Wissen bzw. die Media Literacy, die Jugendlichen in den Plattform-Ökonomien Reichweite und Teilhabe verspricht. Gefragt wird ferner, wie sozialisatorisch wirksame Orte (familiäre Wohnräume oder Schulen) und Akteur:innen (wie Jugendliche, Eltern oder Lehrer:innen) in Social-Media-Beiträgen (bewegt-)bildlich in Szene gesetzt, mit spezifischen Begrifflichkeiten diskursiv hervorgebracht und wie auf diese Weise jugendkulturelle Verhandlungsweisen von Zusammenhalt, Abgrenzung und Zugehörigkeit kenntlich werden. Darin wird auch der Einfluss popkultureller Elemente und filmkultureller Traditionslinien für ihre Selbstinszenierungen beleuchtet.
Sonja Ganguin und Johannes Gemkow bearbeiten empirisch die grundlegende Frage, welche Formen und Praktiken des Zusammenhalts in und durch soziale Medien erzeugt und wie mediale Sozialisationskontexte als politische Orientierungsräume relevant werden.
Andreas Klee wendet sich im AP potenziellen Orten der politischen Teilhabe von Jugendlichen zu, an denen Erfahrungen von politischer Selbstwirksamkeit zur Disposition stehen.
Gert Pickel untersucht politischen Wertewandel im intra-und intergenerationalen Vergleich und begleitet dafür insbesondere die methodische Entwicklung eines quantitativen Instruments zur Messung von Einstellungen.