A_10 Zusammenhalt in Zeiten des Krieges: Wirkung militärischer Konflikte auf Politisierung und Polarisierung
Standorte: | Frankfurt am Main |
Fachdisziplinen: | Politikwissenschaft |
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Abstract
Das Arbeitspaket fragt, wie sich die Beteiligung an militärischen Konflikten auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirkt. Hierzu untersuchen wir die Reaktionen auf vier Kriege, an denen Deutschland in den letzten Jahrzehnten beteiligt war. Wie hat sich das Vertrauen in staatliche Institutionen und wie haben sich die Beziehungen zwischen sozialen Gruppen verändert?
Die Teilnahme an militärischen Konflikten wirkt sich auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt sehr unterschiedlich aus. Mal verstärken sie das gesellschaftliche Zusammengehörigkeitsgefühl, mal begünstigen sie Polarisierung und Vertrauensverlust in staatliche Institutionen. Vor diesem Hintergrund untersucht das Arbeitspaket die Auswirkungen der deutschen Beteiligung an den Kriegen im Kosovo, Afghanistan, Mali und der Ukraine auf den Zusammenhalt in Deutschland. Seine zentrale Frage lautet: Warum fördern militärische Konflikte unter bestimmten Bedingungen Zusammenhalt, während sie ihn unter anderen Bedingungen schwächen?
Unsere Forschung knüpft an Forschungsarbeiten an, die unterschiedliche Effekte militärischer Konflikte beleuchten. Ein Erklärungsansatz bezieht sich auf die Art des Konflikts: während zwischenstaatliche Konflikte eher Zusammenhalt fördern, führen Bürgerkriege und asymmetrische Auseinandersetzungen eher zu gesellschaftlicher Spaltung. Andere Ansätze betonen die Bedeutung von Medienberichterstattung, politischer Kommunikation und die Aktivitäten sogenannter „Polarisierungsunternehmer:innen“.
Das Projekt sammelt empirische Daten zur Reaktion der deutschen Gesellschaft auf die Kriege im Kosovo, Afghanistan, Mali und in der Ukraine. Auf dieser Grundlage analysieren wir Mechanismen, die zur politisierenden und polarisierenden Wirkung von Konflikten beitragen. Die politisierende Wirkung bezieht sich auf das Verhältnis zu politischen Institutionen. Polarisierende Effekte betreffen das Verhältnis der Bürger und Bürgerinnen zueinander.
Transferaktivitäten
Wir entwickeln politische Handlungsstrategien, die helfen, den demokratischen Zusammenhalt trotz externer Konflikte zu bewahren. Hierzu stehen wir im Austausch mit Partnern aus Politik, Medien und den Kirchen.
⇦ A_09 - Politisierte Genderthemen zwischen Wahlverhalten und Onlinekommunikation
⇨ A_11 - Polarisierungsdynamiken in den sozialen Medien
Das Themenfeld A analysiert den Zusammenhang zwischen Politik und gesellschaftlichem Zusammenhalt unter besonderer Betonung der konflikthaften Dimension politischer Aushandlungen. Ein besonders relevantes Feld für diesen Zusammenhang stellen Gewaltkonflikte dar, weil sie unmittelbar das Lebensgefühl und die Sicherheit der Menschen betreffen. Im Arbeitspaket (AP) untersuchen wir, wie die Beteiligung des Staates an militärischen Konflikten auf gesellschaftlichen Zusammenhalt in Demokratien wirkt. Im Anschluss an die Leitfragen des Schwerpunkts untersuchen wir konkret, unter welchen Bedingungen die Beteiligung an militärischen Konflikten Gegenstand politischer Auseinandersetzungen wird (Politisierung) und wie sich diese auf den Zusammenhalt auswirken (Polarisierung).
Konflikte können den Zusammenhalt stärken oder schwächen. Zwar gibt es den schon von Georg Simmel beobachteten Zusammenhang zwischen externem Druck und interner Kohäsion sozialer Gruppen, doch manche Konflikte führen auch zu Desintegration. Mit Blick auf die Außen- und Sicherheitspolitik stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen externe Konflikte den internen Zusammenhalt stärken oder schwächen, mit besonderer, mitunter existentieller Dringlichkeit. Der relevante Forschungsstand ist weit gefächert und uneinheitlich. Empirische Länderstudien fokussierten u.a. die Zustimmung der Bevölkerung zur Regierungspolitik in Kriegs- und Krisensituationen (dem sog. Rally ‘round the flag effect). Ausgangspunkt ist zumeist die Annahme, dass externe Konflikte die interne Kohäsion eines Staates stärken können. Abgesehen davon, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt dabei auf höchst unterschiedliche Weise konzeptualisiert, operationalisiert und gemessen wird und dabei vertikaler Zusammenhalt (Verhältnis von Staat und Gesellschaft) und horizontaler Zusammenhalt (Verhältnis gesellschaftlicher Gruppen untereinander) durcheinander gehen, weisen empirische Erkenntnisse in unterschiedliche Richtungen und zählen zahlreiche Faktoren auf, die den Effekt von Konflikten auf gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinflussen. So spielt die Art des Konflikts (zwischenstaatlicher Krieg, Bürgerkrieg oder Terrorismus; wars of choice vs. wars of necessity; die Intensität der militärischen Gewalt; Grad der Kriegsbeteiligung usw.) eine wichtige Rolle. Zwischenstaatliche, konventionelle Kriege können gesellschaftliche Kohäsion fördern, während Bürgerkriege und asymmetrische Konflikte gegen nichtstaatliche Akteure gesellschaftlichen Zusammenhalt tendenziell untergraben. Schon John Mueller (1970) stellte fest, dass die hohe gesellschaftliche Zustimmung zur Regierungspolitik in akuten Krisen- und Kriegssituation meist nur von kurzer Dauer ist. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Medienberichterstattung und die Art und Weise, wie die Regierung ihr Handeln kommuniziert und den Informationsfluss beeinflusst. Ebenso bedeutsam sind „Polarisierungsunternehmer“, die Reizthemen wie Gewaltkonflikte nutzen, um „Stimmung zu machen“.
Welche Faktoren die Einstellungen der Bürger:innen zur Beteiligung an einem militärischen Konflikt in Deutschland bestimmen und wie sie sich auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirken, ist bislang nur ansatzweise erforscht; es fehlen systematische Daten und Erkenntnisse über Kausalmechanismen, die die unterschiedliche Reaktion der Gesellschaft auf militärische Konflikte erklären. Mit „Politisierung“ und „Polarisierung“ sollen zwei unterschiedliche Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenhalts betrachtet werden: die „vertikale“ Beziehung zwischen Gesellschaft und Regierung einerseits und die „horizontale“ Beziehung zwischen gesellschaftlichen Gruppen andererseits. Im ersten Verhältnis ist die Frage, unter welchen Bedingungen militärische Konflikte zu Politisierung (hier verstanden als Vertrauensverlust in staatliche Institutionen), im zweiten zu Polarisierung (im Sinne affektiver Gegnerschaft sozialer Gruppen) und damit zur Gefährdung des „demokratischen Zusammenhalts“ führen.
Ausgangspunkt des AP sind vier militärische Konflikte, an denen die Bundesrepublik in unterschiedlicher Form und Intensität beteiligt war bzw. ist: Kosovo (1998–1999), Afghanistan (2001–2021), Mali (2016–2024) und Ukraine/ Russland (2022–). Erklärt werden sollen die stark variierenden Einstellungen in der Gesellschaft und die Effekte auf Zusammenhalt im Konfliktverlauf. Während z.B. die überwiegend ablehnende Haltung der Gesellschaft gegenüber dem Afghanistaneinsatz kaum auf die politische Debatte im Land durchschlug, führt die von einer Minderheit getragene Opposition gegen die Unterstützung für die Ukraine zu einer sich verschärfenden innenpolitischen Auseinandersetzung mit starken Effekten sowohl im Bereich der Politisierung als auch der Polarisierung.
Die doppelte Fragestellung, die sich daraus ergibt, ist: Warum haben die unterschiedlichen Beteiligungen der Bundesrepublik an militärischen Konflikten zu so unterschiedlichen gesellschaftlichen Reaktionen geführt, und warum haben diese so unterschiedliche Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehabt?
Principal Investigators
Prof. Dr. Christopher Daase
Prof. Dr. Nicole Deitelhoff
Publikationen
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Weißes Haus stoppt USAID: Trump reißt eine Lücke, die seine Gegner füllen könnten
Verhandlungen über Kriegsende: Wer könnte einen möglichen Frieden in der Ukraine sichern, Frau Deitelhoff?
Militärausgaben auf Allzeithoch: Macht Aufrüstung die Welt sicherer, Frau Deitelhoff?
Donald Trump, die Macht und die Super-Reichen: Werden die USA zur Oligarchie, Frau Deitelhoff?
Trump will Grönland und Kanada: Ist staatliche Souveränität immer weniger wert, Frau Deitelhoff?
Ukraine, Naher Osten, Sudan: Welcher Konflikt wird 2025 am ehesten beendet?
Nach dem Sturz Assads: Kommt jetzt Frieden nach Syrien, Frau Deitelhoff?
Nordkoreaner kämpfen für Russland: Die Globalisierung des Ukraine-Kriegs zeigt Putins Erfolg
Praxispartner:innen
- Auswärtiges Amt
- Bundesministerium der Verteidigung
- Evangelische Kirche Deutschland
- Mitteldeutscher Rundfunk

