Vor dem Hintergrund der These eines Auseinanderdriftens der Gesellschaft, erforscht das Arbeitspaket, wie sich soziale Milieus gegenseitig wahrnehmen. Es untersucht ihr Wissen übereinander und ihr Verständnis füreinander. Dabei interessiert uns, wie stark sich soziale Netzwerke verschiedener Milieus voneinander trennen. Ebenso betrachten wir, wo sich soziale Kreise noch überschneiden.
Das Arbeitspaket ergänzt das Themenfeld "Sozioökonomische Status- und Verteilungsordnungen" durch zwei Perspektiven. Die erste beleuchtet die Segmentation sozialer Milieus und ihre Wahrnehmung untereinander. Die zweite nutzt eine Netzwerkperspektive zur Darstellung milieuübergreifender Kontakte. Wir analysieren die symbolischen und sozialen Beziehungen zwischen Milieus. Eine besondere Rolle spielt hier die Frage, wie Zusammenhalt durch die Dichte sozialer Netzwerke geprägt wird, und umgekehrt, wie Segmentationen zwischen Milieus den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Unser Fokus liegt auf den Mechanismen, die soziale Gruppen voneinander abgrenzen.
Das Arbeitspaket führt seine Mixed-Methods-Forschung aus der ersten FGZ-Förderphase zur wechselseitigen Wahrnehmung und Bewertung sozialer Milieus fort. Es erweitert seinen Blick nun auf bisher unterrepräsentierte Gruppen. Dazu zählen besonders prekäre und marginalisierte Milieus.
Aus den in der ersten Phase erhobenen 618 Interviews zeigt sich, dass insbesondere marginalisierte Gruppen überdurchschnittlich oft Ablehnung erfahren. Wir planen deshalb 200 weitere Interviews mit marginalisierten Menschen und Personen mit Migrationsgeschichte.
So entsteht ein umfassendes Bild der deutschen Milieulandschaft und wir können Dynamiken und Spannungen zwischen entgegengesetzten Milieus beleuchten. Die Untersuchung der sozialen Netzwerke gibt zudem Erkenntnisse über Gelegenheitsstrukturen. Wo kommen Personen aus unterschiedlichen Milieus in Kontakt und können Gemeinsamkeiten entdecken, die zusammenhaltstiftende Effekte haben? Zudem soll die strukturierende Wirkung von Religion auf soziale Netzwerke und migrantische Gemeinschaften erforscht werden.
Inhalte des Arbeitspakets
Das Arbeitspaket (AP) verortet sich in Schwerpunkt 3 und möchte im Rahmen einer weiteren Mixed-Methods-Erhebung die bisherigen Daten aus dem Projekt BRE_F_03 um einen Fokus auf marginalisierte Gruppen und Migrant:innen erweitern. Das AP leistet innerhalb des Themenfelds und des Schwerpunkts einen besonderen Beitrag zu den Thematiken der Segmentation von sozialen Milieus und ihre wechselseitige Wahrnehmung. Es bietet zudem eine dezidierte Netzwerkperspektive, durch die u.a. milieuüber- greifende Kontaktmuster abgebildet werden. Soziale Milieus werden innerhalb des AP als latente Großgruppen mit ähnlichen sozialen Lagen und ähnlichen kulturellen Werten verstanden.
Aus den in der ersten Phase erhobenen 618 Mixed-Methods- Interviews zeigt sich, dass insbesondere marginalisierte Gruppen (z.B. das sogenannte prekäre Milieu) überdurch- schnittlich oft Ablehnung erfahren. Um andersherum belastbare Befunde über die Wahrnehmung genannter marginalisierter Gruppen und Menschen mit Migrationsgeschichte zu liefern, sollen weitere 200 Interviews mit dieser Personengruppe durchgeführt werden. Ziel ist es, ein umfassendes Bild über die Milieulandschaft Deutschlands zu erhalten, sowie die Dynamiken und Spannungen zwischen entgegengesetzten Milieus zu beleuchten. Hier fügt sich das AP in den Tenor der zweiten Leitfrage ein. Um Spannungen oder Polarisierungslinien zu untersuchen wird u.a. auf das Konzept der sozialen Produktionsfunktion zurückgegriffen. Diese besagt, dass Menschen sich im Laufe ihres Lebens Fähigkeiten und Werte aneignen – man könnte auch von sozialen und kulturellen Kapitalien sprechen. Anders als bei ökonomischem Kapital, können Fähigkeiten und Werte nicht einfach transformiert werden, d.h. sie sind träge und entsprechend sind Menschen daran interessiert, dass ihre Kapitalien gesellschaftlich anerkannt bleiben, um eine Entwertung und ein damit einhergehenden Anerkennungsverlust zu verhindern. Gleichzeitig sind sie auch nicht kontingent, was bedeutet, dass es zu Konkurrenz zwischen Trägergruppen kommt: Gesellschaftliche Konflikte zwischen Großgruppen sind häufig Konflikte über die Institutionalisierung spezifischer sozialer Produktionsfunktionen. Ein Beispiel für solch einen aktuellen Konflikt stellt das Thema Gendern dar (vgl. auch B_02).
Weiterführend greift das AP in diesem Sinne auch die Themen der ersten Leitfrage auf und betrachtet die Milieus sowie ihre (symbolische) Abgrenzung. Die Untersuchung der sozialen Netzwerke liefert zudem Erkenntnisse über Gelegenheitsstrukturen und analysiert, wo Personen aus unterschiedlichen Statusgruppen in Kontakt treten und Gemeinsamkeiten entdecken können, die ggf. zusammenhaltstiftende Effekte haben.
Wir greifen die Themen der dritten und vierten Leitfrage auf, indem wir marginalisierte Gruppen und Menschen mit Migrationsgeschichte betrachten, die von den Entwicklungen der zunehmenden sozialen Ungleichheit betroffen sind und in medialen Diskursen zwar viel thematisiert doch selten zu Wort kommen (Schlagwort „Bürgergeld“ oder „Migration“). Gerade die Perspektiven dieser Gruppen bezüglich Externalisierungs- und Veränderungsprozessen sollte daher mit Blick auf Zusammenhaltspraktiken miteinbezogen werden.