A_03 Polarisierung und politische Legitimität
Standorte: | Frankfurt am Main |
Fachdisziplinen: | Politikwissenschaft , Geschichtswissenschaft , Rechtswissenschaft |
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Abstract
Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene nehmen Konflikte zu und die Gräben zwischen den politischen Lagern vertiefen sich. Das Arbeitspaket untersucht, welcher Zusammenhang zwischen solchen Polarisierungsprozessen und der Legitimität politischer Systeme besteht.
Ist Polarisierung immer problematisch oder kann sie unter Umständen sogar zu Demokratie und Zusammenhalt beitragen?
Unsere Forschung geht von der Beobachtung aus, dass politische Auseinandersetzungen zunehmend entlang starrer Lager verlaufen und immer schärfer ausgetragen werden. Dies zeigt sich im Aufstieg populistischer Parteien, in der steigenden Abneigung zwischen politischen Milieus und der moralischen Abwertung Andersdenkender. Auf internationaler Ebene lassen sich ähnliche Entwicklungen beobachten, etwa im Kontext der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Diese Konflikte wirken auch auf die gesellschaftlichen Debatten in Deutschland zurück.
In der Öffentlichkeit wird Polarisierung fast ausschließlich als Gefahr für das politische System diskutiert und dementsprechend negativ bewertet. Diese Sichtweise wollen wir hinterfragen. Ist es wirklich so, dass die zunehmende Distanz zwischen politischen Akteuren die Legitimität politischer Ordnungen bedroht? Oder könnten diese Konflikte nicht auch die Demokratie stärken oder die Stabilität internationaler Ordnungen fördern? Damit trägt das Arbeitspaket zu einer zentralen Fragestellung des FGZ bei: Sind Konflikte immer eine Gefahr für den Zusammenhalt? Oder können sie eine bestimmte Form des Zusammenhalts, die wir als „demokratischen Zusammenhalt“ bezeichnen, sogar fördern?
Auf diese Frage wollen wir eine differenzierte Antwort geben: Polarisierung kann politische Ordnungen bedrohen, weil sie Kompromisse erschwert und Konflikte verschärft. Sie kann aber auch zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen, indem sie soziale Spannungen und alternative Lösungsansätze sichtbar macht und zur politischen Beteiligung motiviert. Wir untersuchen, welche Aspekte von Polarisierungsprozessen jeweils für diese Effekte verantwortlich sind und wie sie sich auf politische Ordnungen auswirken.
Transferaktivitäten
Zu den Zielen des Arbeitspakets gehört es auch, mit Ihnen in den Austausch über unsere Forschung zu treten. Für Gespräche zur Polarisierung von Konflikten auf nationaler und internationaler Ebene und der Bedeutung von Zusammenhalt für die Demokratie stehen wir gerne zur Verfügung.
⇦ A_02 - Demokratievertrauen, Populismus und Wahlverhalten in Zeiten der Transformation
⇨ A_04 - Politiken des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Afrika
Inhalte des Arbeitspakets
Mit der Frage nach dem Zusammenhang von Polarisierung und politischer Legitimität unterzieht das Arbeitspaket (AP) die verbreitete These, dass Polarisierungstendenzen zwangsläufig die Legitimität politischer Institutionen gefährden, einer kritischen Prüfung. Sein Ziel ist es, die Bedingungen präziser zu benennen, unter denen bestimmte Formen der Polarisierung die politische Legitimität auf nationaler und inter-/transnationaler Ebene gefährden und unter welchen sie diese gegebenenfalls sogar stärken können. Damit leistet es einen zentralen Beitrag zur Klärung des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlichem Zusammenhalt und politischer Legitimität, der in Schwerpunkt 2 des Themenfelds untersucht wird.
Ausgangspunkt des AP ist der diskursive Aufstieg des Stichworts der „Polarisierung“ in jüngeren Zeitdiagnosen, sei es im Zusammenhang mit dem elektoralen Erfolg populistischer Parteien, der (vermeintlichen) Entstehung neuer politischer Gräben sowie der (angeblich) zunehmende moralische Abwertung politisch Andersdenkender. Mit Blick auf die inter- und transnationale Ebene ist wiederum nicht erst seit der russischen Aggression gegen die Ukraine von einer neuen Polarisierung zwischen freiheitlich-demokratischen und autoritären Staaten die Rede, mit der ein Kampf um die Legitimität internationaler Institutionen einhergehe. Auch wenn in Politikwissenschaft, Soziologie und politischer Philosophie sehr differente Vorstellungen von Polarisierung vertreten werden, ist der Begriff in der öffentlichen Wahrnehmung eindeutig negativ konnotiert: Diese Diagnose erscheint jedoch bei näherem Blick zumindest fraglich.
Ist die mit dem Begriff der Polarisierung umschriebene zunehmende Distanz zwischen politischen Akteur:innen – seien es individuelle Bürger:innen, Parteien oder Staaten und ihre Verteter:innen – tatsächlich zwangsläufig etwas Schlechtes, das die Stabilität staatlicher bzw. internationaler Ordnung(en) sowie ihrer normativen Verfasstheit gefährdet? Oder können politische Polarisierungsprozesse unter Umständen sogar zur Qualität etwa der Demokratie oder der Stabilität der internationalen Ordnung beitragen?
Das AP hat das Ziel, eine differenzierte Antwort auf diese Fragen zu geben. Es geht dabei von der Beobachtung aus, dass der Zusammenhang von Polarisierung und der Stabilität und Legitimität politischer Ordnungen z.B. in der Demokratietheorie, aber auch in der Theorie der Internationalen Beziehungen, ambivalent diskutiert wird.
Während viele liberale Kommentator: innen befürchten, dass die Polarisierungsprozesse die Legitimität demokratischen Regierens und/oder die Stabilität politischer Ordnung untergraben, weil sie Kooperation und Kompromisse erschwerten und zu einer konflikthaften Nullsummenpolitik verleiteten, wird aus einer konfliktsoziologisch Perspektive der epistemische Wert von Polarisierungsprozessen betont. Polarisierende Politik könne demokratische Legitimität und politische Stabilität erhöhen, indem sie latente soziale Konflikte sichtbarer mache und so den Kontrast zwischen politischen Alternativen verstärke.
Diese beiden Einschätzungen stehen, so die These des AP, nur scheinbar in Konflikt miteinander: Sie widersprechen sich nicht, sondern beziehen sich auf zwei verschiedene Formen der Polarisierung – affektive und ideologische Polarisierung –, die sich unterschiedlich auf die Legitimität demokratischen Regierens auswirken. Während das Verhältnis von Legitimität und Zusammenhalt in den anderen AP des Schwerpunkts vor allem aus empirischer Perspektive untersucht wird, möchte das AP einen theoretischen Beitrag leisten. Die Unterscheidung verschiedener Typen der Polarisierung und eine Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Aspekte demokratischer Legitimität dürfte auch für die empirische Forschung des Themenfelds und des FGZ insgesamt relevant sein.
Principal Investigators
Dr. Cord Schmelzle
Dr. Hendrik Simon
Laufzeit, Themen- und Forschungsfelder
Laufzeit:
06/2024 – 05/2029Publikationen
Die Rückkehr der Imperialisten
Class Conflict as Catalyst of Trust: A New Research Agenda for International Political Sociology
Trumps Drohungen gegen Grönland und Panama: Wir erleben die Rückkehr einer imperialistischen US-Doktrin
Editorial #40: Are We Failing?, or: Defending International Law in Times of Polarization
Gab es ein Recht auf Krieg?
Schützt das Recht im Krieg?
Vertrauen und entgrenzte Gewalt. Zu einer »besonderen Konstellation der Moderne« auf inter- und transnationaler Ebene.
Praxispartner:innen
- DPZ – Das Progressive Zentrum
- IG Metall (Ressort Globalisierungspolitik)