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Zusammenhalt kommentiert #landtagswahl

In der Reihe “Zusammenhalt kommentiert” äußern sich die Wissenschaftler:innen des FGZ zu tagesaktuellen Geschehnissen und liefern kritische Einordnungen vor dem Hintergrund ihrer Forschungen zum Zusammenhalt und dem Zustand der Gesellschaft.

Haben Sie die Ergebnisse der Landtagswahlen überrascht?

Letztlich haben sie uns nicht überrascht, aufgrund der Umfragen war der Erfolg der AfD ja absehbar. Dennoch waren wir schockiert. Und ehrlich gesagt auch einigermaßen ratlos. Die Deportationspläne der AfD und des neurechten Lagers insgesamt, die Anfang des Jahres im Zuge der Correctiv-Recherche publik wurden (genauer gesagt werden diese Pläne seit Jahren von der Identitären Bewegung und auch von Björn Höcke propagiert, durch die Correctiv-Recherche wurden sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt), die nach der Veröffentlichung der Recherche einsetzenden antifaschistischen Massendemonstrationen – all das konnte dem Wahlverhalten offenbar nichts anhaben. Was also muss noch passieren? Oder ist diese Frage möglicherweise falsch gestellt? 

Wir touren seit einigen Monaten mit einer Ausstellung über die Wende- und Nachwendezeit durch kleinere Städte in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Und wir kommen mit vielen Menschen in Kontakt, die sich eindeutig antifaschistisch positionieren, aber auch mit Menschen, für die die AfD eine Option ist. Unsere Ausstellung ist als eine Art Gesprächsangebot gedacht, auch für AfD-affine Menschen, im Sinne von: Ihr habt die Möglichkeit, über Eure Erfahrungen zu sprechen, auch und gerade über Erfahrungen von Deklassierung und Abwertung, über Wut und Enttäuschung, und vielleicht finden wir einen common ground, um in konstruktiver Weise eine Debatte zu führen. Nach der Wahl ist der Möglichkeitsraum für eine solche Debatte kleiner geworden, weil der Autoritarismus und der Rassismus der AfD die Suche nach einem common ground definitiv erschweren. Das wissen auch diejenigen, die ihre Stimme der AfD gegeben haben. Und es ist eine gefährliche Situation, dass die Partei sich mit ihren Vorstellungen auf dem Vormarsch zur Macht wähnt und schon öffentlich ihre Abrechnungspläne schmiedet.

 

Die hohen Wahlergebnisse für die AfD haben mich nicht überrascht, das hat sich schon lange angekündigt, ob in Umfragen, den Europa- und Kommunalwahlen oder der politischen Stimmung in Sachsen und Thüringen. Wir wissen auch aus der Forschung schon länger um das Wähler*innenpotential der AfD, das in den neuen Bundesländern deutlich höher ist als im Bundesdurchschnitt. Dass das BSW aus dem Stand solche Erfolge erzielt, ist für eine noch in diesem Jahr gegründete Partei hingegen durchaus erstaunlich und hat nun zu einer Konstellation in beiden Landtagen geführt, die wir so noch nicht kennen.

 

Keineswegs. Erstes sehen wir seit vielen Jahren diese Entwicklung, dass sinkendes Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit und steigende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Regierungshandeln sich in entsprechenden Wahlergebnissen niederschlagen – und dass in Sachsen und Thüringen damit ein besonderer Nährboden für gesellschaftliche Polarisierung, für Populismus und für Mobilisierungserfolge der extremen Rechte bereitet ist. Zweitens haben die repräsentativen Befragungen im Vorfeld der Wahlen – egal von welchem Umfrageinstitut – das wesentliche Ergebnis im Großen und Ganzen so vorausgesagt. So schockierend und ernüchternd es ist, überraschend war es nicht.

 

Es möge nicht besserwisserisch klingen, aber in Bezug auf den allgemeinen Trend hat mich wenig überrascht. Wir kannten die Ergebnisse der Europawahl, die Prognosen unterschiedlicher Meinungsforschungsinstitute waren nahe beieinander, die Stimmung war seit Monaten spürbar, die Entwicklungen ließen nach vorliegenden Studien zu politischen Einstellungen wenig anderes erwarten. Solche Ergebnisse entwickeln sich über einen längeren Zeitraum der politischen Einstellungsbildung und viele Studien vorher zeigten, dass es den Rechtsrutsch gibt, zumal sich beide Bundesländer immer stärker mehr durch Abgrenzung von „Berlin und allen etablierten Parteien“ als durch streitbare Landespolitik auszeichnet haben. Aber es gibt immer auch Ergebnisse, die uns überraschen. Mich hat die Normalisierung der Stimmen für die AfD unter jungen Wählerinnen und Wählern überrascht, auch wenn wir selbst den neuen ‚Jugendtrend‘ in eigenen und anderen Studien gesehen haben. Für junge Menschen erscheint manche rechtsradikale Position nicht radikal, sondern als normale Meinung. Mich hat in Teilen auch überrascht, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht kaum AfD-Wählerinnen und Wähler binden kann. 

 

Warum ist die AfD in Ostdeutschland so erfolgreich?

Nach den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 veröffentliche der Soziologe und Mitarbeiter des Vereins Miteinander, David Begrich, einen „Liebe westdeutsche Freund/innen“ überschriebenen Text, in dem er unter anderem schrieb: „Ja, es gibt im Osten eine regressiv-autoritäre gesellschaftliche Unterströmung, die breiter ist als die AfD Wähler/innenschaft. Aus einem vielschichtigen Ressentimentmix hat sich eine grundsätzliche Ablehnung westlicher / westdeutscher sozialer Praxen und Kulturen entwickelt. Sie artikuliert sich autoritär und rassistisch. 

Zugleich sehen sich Menschen der mittleren und älteren Generation einer Art kulturellen Fremdherrschaft unterworfen, in der sie mit ihrem Erfahrungen nicht vorkommen.“ Wir finden diese Analyse immer noch aktuell und bedenkenswert. Es ist ja kein Zufall, dass Begrich seinen Text an Westdeutsche adressierte. Die Adressierung korrespondiert mit dem Verweis auf einen „vielschichtigen Ressentimentmix“, der sich auch aus dem Gefühl speise, „einer Art kulturellen Fremdherrschaft unterworfen“ zu sein. Kurzum: Wir denken, dass der Erfolg der AfD zumindest in Teilen auch mit dem zusammenhängt, was sich vielleicht als eine ostdeutsche Erfahrung nach 1989 kennzeichnen ließe, mit der (anhaltenden) Dominanz des Westens gegenüber dem Osten, mit der Erfahrung von Nicht-Anerkennung, mit einem Mangel an Resonanz. Rechte Demagogen wie Höcke verstehen es gut, auf der Klaviatur dieses Ressentiment-Mixes zu spielen. Sie kanalisieren die Wut in altbekannter faschistischer Weise: autoritär, nationalistisch, rassistisch, volksgemeinschaftlich. Und die alten „Volksparteien“ versagen bei dem Versuch, ein Gegenbild bzw. eine Alternative zu konturieren, oder wollen das teilweise vielleicht auch gar nicht. Gerade in puncto Migrationspolitik rudern sie der AfD hinterher und sollten doch eigentlich wissen, dass diese Strategie schon immer erfolglos war, dass man die offene und pluralistische Gesellschaft nicht verteidigen kann, indem man sie schließt und auf Homogenität zu bürsten versucht.

 

Die Ost-West-Unterschiede lassen sich zum Teil dadurch erklären, dass in den neuen Bundesländern populistische, nationalistische und fremdenfeindliche Einstellungen weiter verbreitet sind. Auch strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West können dabei eine Rolle spielen. Zum Beispiel wird die AfD häufiger in Gegenden mit höherer Arbeitslosigkeit und einem niedrigeren Anteil von Personen mit Universitätsabschluss gewählt. Allerdings zeigen viele Studien, dass Einstellungen eine größere Rolle für die Wahlentscheidung für die AfD spielen als das Einkommen oder die berufliche Stellung. Interessant ist, dass die AfD in den neuen Bundesländern immer noch besser abschneidet, wenn wir den Einfluss der uns bekannten Wahlmotive herausrechnen. Sie scheint also einen Ost-Bonus zu haben, den wir bisher nicht wirklich erklären können.

 

Es wird in diesem Zusammenhang mit großer Berechtigung über die Besonderheiten Ostdeutschlands gesprochen, über Gründe, wieso die „Systemdistanz“ und der Unmut mit den ambivalenten Resultaten demokratischer Politik hier besonders ausgeprägt sind und welche Rolle Transformationsschocks, Umbruchserfahrungen, nicht eingelöste Wachstums- und Wohlstandsversprächen, Fragen der sozialen Ungerechtigkeit spielen. Die Benachteiligung der Ostdeutschen, das Gefühl, abgehängt und im Stich gelassen zu werden. Und die besondere Krisenanfälligkeit der Region. Dass Ostdeutsche besonders sensible Antennen haben dafür, wenn zwischen politischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit eine Lücke klafft, die eher größer wird, als sich zu schließen. 

Aber es gibt auch noch andere Gründe für die Ausbreitung und den Erfolg der AfD insbesondere in Ostdeutschland, und zwar seit Jahrzehnten eingeübte Unfähigkeit, sich selbstkritisch mit Defiziten der demokratischen Kultur auseinanderzusetzen und der Verharmlosung und Selbstverharmlosung von Autoritarismus, Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit effektiv zu begegnen. Allerdings müssen wir zweifelsfrei feststellen: Was im Osten begonnen hat, das droht der Westen in den nächsten Jahren nachzuholen, wenn nichts dagegen getan wird. Wir haben es ja bereits bei zurückliegenden Wahlen in westdeutschen Bundesländern gesehen, wie da die AfD allmählich zulegt. Auch was die Verankerung fester rechtsextremer Bewegungsstrukturen anbetrifft, gibt es gar keinen Anlass, vom Westen aus überheblich von einer „Demokratieunfähigkeit der Ostdeutschen“ zu reden. Selbstverständlich gab und gibt es auch im Westen viele überzeugte Antidemokrat:innen – und solche Menschen, die ihnen nachlaufen und insbesondere Krisenzeiten nach dem Mund reden.

 

Ich antworte zunächst sozialpsychologisch: Weil sie den Menschen eine politisch starke Identität verschafft und ihre Heilsbotschaften von „Deutschland zuerst“ oder „Deutschland den Deutschen“ greifen. Weil sie zugleich mit ihren Zerrbildern von Migration und Migration sowie einem selbstbewussten Auftreten die scheinbare Lösung für alles anbietet und weil sie vor Ort bürgernah ist, ohne dass die Politiker, die auf den Wahllisten stehen, kompetent sein müssen; es wird klar, dass sich die Wählerinnen und Wähler kaum an den Kandidaten orientiert haben, sondern eher ‚die einzig starke AfD‘ wählen wollten. Soziologisch betrachtet wäre zu beachten, dass sich das Land immer noch in Krisen befindet, also Zeiten, in denen noch Lösungen für die vielen Herausforderungen und Veränderungen gefunden werden müssen. Die AfD kommt mit ihrem regional verstandenen nostalgischen Nationalismus gut an, weil alternative Zukunftsmodelle fehlen. Das löst langsam auch immer mehr das Gefühl ab, Bürger zweiter Klasse zu sein, was lange in unseren Studien verbreitet war. Die AfD bietet den Zugang zur ersten Klasse an. Und über Jahre haben sich viele Menschen im Osten auch über erste negative, dann zunehmende selbstbewusste Vergleiche zum Westen politisch ‚vom Westen‘, ‚Berlin‘, den etablierten ‚Eliten‘ und dem ‚alten System‘ distanziert. Nach unseren Studienergebnissen geht es den AfD-Wählerinnen und Wählern gar nicht so schlecht und sie sehen viel weniger Konflikte vor Ort. Sie nehmen nationale Konflikte wahr und lassen sich als Sorgenbürger nicht ansprechen. Die AfD, die in Thüringen mit einer ideologisch klaren Strategie die Gefühlslagen verstärkt, sät die Ernte des Zorns, den sie selbst gesät hat. Dass nun hier wie in Europa das wichtigste Kapital, das Menschen in die die Politik investieren müssen, ihr Vertrauen, einbricht, erleichtert es Parteien wie der AfD und auch dem BSW. Und da man eh nicht mit Zusammenhalt rechnet und den nationalen Zusammenhalt bedroht sieht, greifen die populistischen Heilsbilder.

 

Die AfD gewinnt die Wahl in Thüringen, aber wird aller Voraussicht nach nicht an die Macht kommen. Wird der Wählerwille damit missachtet? Was macht das mit den Wähler:innen dieser Partei, die der etablierten demokratischen Parteien überdrüssig sind?

Zunächst einmal leitet sich aus den Wahlergebnissen kein legitimer Machtanspruch ab. Auch 34% von 74% der Wahlberechtigten sind eben keine Mehrheit der Bevölkerung, auch wenn sich die AfD und ihre Anhänger:innen immer für „das“ Volk halten. Gerade diese partikularistische Anmaßung auf Alleinvertretung lässt den demokratischen Schein dieser Partei sofort als solchen kenntlich werden. Zusammenhalt, Anerkennung, Solidarität, Bleibe-, Partizipations- und Mitspracherecht, sogar Grundrechte gelten zuerst und meist exklusiv für die eigene partikulare Gruppe der Anhänger:innen eines völkischen, rassistischen, weißen, autoritären und patriarchalen Kollektivs. 

Außerdem erklären Vertreter:innen dieser Bewegung ausdrücklich und immer wieder, was sie mit Menschen zu tun gedenken, deren Meinung oder Hautfarbe sie nicht billigen. Dass der Kreis Sonneberg seit der Wahl eines AfD-Landrats zum Schwerpunkt radikal rechter Gewalt wurde, belegt auch, dass sie es nicht bei Erklärungen belassen. Es bleibt noch zu analysieren, in welchem Ausmaß die Wähler:innen der AfD all das gutheißen. Sie können sich allerdings nicht dahinter verstecken, nicht gewusst zu haben, was Höcke & Co. erklärtermaßen anstreben. Im Gegenteil zeigen Nachwahl-Befragungen, dass die AfD inzwischen viel mehr aus Überzeugung als aus Protest gewählt wird. Was es mit ihnen macht, dass ihre Partei wieder nicht an die Macht kommt, wäre reine Spekulation. Das Nachdenken darüber darf aber keinesfalls zu jenem vorauseilenden Gehorsam verleiten, der sich in Politik, Verwaltung und Presse teilweise beobachten lässt.

 

In einem Mehrparteiensystem ist es ein normaler Vorgang, dass eine Partei zwar die stärkste Kraft ist, aber nicht in Regierungsverantwortung kommt. Das ist auf Bundesebene ja aktuell auch der Fall. Die Frage ist also eigentlich nicht, wer die meisten Stimmen bekommt, sondern welche Koalition die Unterstützung der Mehrheit der Bürger*innen hätte. Eine aktuelle repräsentative Umfrage hat ergeben, dass die Mehrheit – auch in Ostdeutschland – eine Regierungsbeteiligung der AfD ablehnen würde. Und das spiegelt sich direkt im Umgang der anderen Parteien mit der AfD, denn auch diese haben sich alle gegen eine Koalition mit der AfD ausgesprochen. Dass diese Brandmauer den AfD-Wähler*innen missfällt, ist zwar verständlich, doch gleichzeitig halte ich es für fraglich ob sie eine Koalition mit einer der etablierteren Parteien unterstützen würden. Angesichts der Tatsache, dass eine gesichert rechtsextreme Partei jetzt ihre erste Landtagswahl „gewonnen“ hat, stellt sich auch die Frage, wie wir als Gesellschaft damit umgehen, dass sich so viele Menschen in einer demokratischen Wahl klar gegen die Grundsätze unserer liberalen Demokratie positionieren.

 

Die Rede von der angeblichen „Missachtung des Wählerwillens“ ist Teil des populistischen Konzepts, mit vorsätzlichen Falschbehauptungen über Gepflogenheiten der parlamentarischen Demokratie Menschen aufzuwiegeln. Es ist ja paradox: Die AfD ist doch bewusst mit dem Ziel angetreten, den sogenannten „Kartellparteien“ den Garaus zu machen. Die AfD-Wähler:innen haben entweder genau deshalb für die Partei und ihrer Kandidaten gestimmt oder sie haben es zumindest wissen können. Die demokratischen Parteien haben im Vorfeld Koalitionsbestrebungen mit der AfD klare Absagen erteilt. Die Mehrheit der Wähler*innen in Sachsen und in Thüringen wollen keine Regierungsbeteiligung der Rechtsextremen. Im Parlament zählt die Koalitionsfähigkeit und nicht, wer am lautesten schreit und behauptet, er allein vertrete „das Volk“. Die AfD versucht nun mit allen Mitteln zu kaschieren, dass AfD-Wähler:innen ihre Stimme sehenden Auges verschenkt haben, wenn sie glaubten, die Partei damit in die Regierungsverantwortung zu bringen. Die Demokratie lebt von guten Kompromissen, die man unter Demokrat:innen aushandelt, und nicht von faulen, die man mit Demokratiefeind:innen schließt, die nur Forderungen aufstellen und Drohungen ausstoßen. Aufgabe der demokratischen Politik muss es nun sein, auch den AfD-Wähler:innen zu signalisieren, dass sie selbstverständlich auch deren Interessen als Bürger:innen vertreten, insofern diese legitim sind – doch es gibt kein Anspruch, aus knapp erreichten oder verpassten Drittelmehrheiten die Durchsetzung völkisch-rassistischer Wahnideen und die Aushöhlung des demokratischen Staatswesens abzuleiten. In diesem Sinne brauchen wir jetzt nicht etwa Diskussionen um den Abriss der „Brandmauer“, sondern die „Brandmauer“ muss definitiv stabiler werden und das muss auch so ganz klar kommuniziert und begründet werden. 

 

Das werden einige so empfinden, aber die Stimme wird nicht missachtet. In unserer Demokratie müssen sich Mehrheiten finden und alle mit einem Konsens leben, der zwischen den Parteien gefunden werden muss. Das ist gerade die Stärke der Demokratie, weil niemand mehr behaupten kann, er oder sie würde den wahren Willen des Volkes repräsentieren und hätte damit Anspruch auf Macht. Die AfD ist mit dem Stimmenanteil erfolgreich, sie wird den Einfluss nehmen, der ihr nach den demokratischen Regeln zusteht. Sie kann als Sperrminorität Entscheidungen verhindern. Sie wird hohe Geldzuweisungen bekommen, Ausschüsse und Kommissionen bestimmen. Sie bestimmt die politischen Themen und ist medial vertreten. Das hat mit Missachtung bei allem Verständnis für Gefühle wenig zu tun. Aber mal andersherum gedacht: Die AfD könnte sich durch Entledigen rechtsextremer Positionen, die von Missachtung getragen sind, ja Anerkennung und Toleranz verdienen, so wie es von allen anderen auch erwartet wird. Ich musste als Bürger schon mit den verschiedensten Regierungskonstellationen leben, die mir mehr oder weniger passten. Wir sollten uns nicht an extremistische Ideen eines imaginierten Volkswillens, den wenige einer politischen Elite verkünden, annähern. 

 

Die Ergebnisse der Landtagswahlen zeigen eine große Kluft zwischen dem Wahlverhalten auf dem Land und in der Stadt. Wieso ist der Unterschied so groß? Was ist neu an der Entwicklung?

Eine wichtige Rolle spielt das Gefühl des Abgehängtseins, das einerseits auf realen Defiziten etwa bei Infrastrukturen und öffentlichen Gütern auf dem Land aufbaut, zum anderen aber auch auf nur wahrgenommenen Abstiegsängsten oder Resonanz- bzw. Anerkennungseinschränkungen. Dieses Gefühl füttert Groll auf die politischen Strukturen, denen die Verantwortung dafür zugerechnet wird (und teils zu Recht). Dabei kommt es allerdings zu massiven Fehlattributierungen, insofern nur selten (neo)liberale Austeritätspolitiken oder die radikalisierte Umverteilung von unten nach oben adressiert werden, sondern eher qua Ressentiment identifizierte Personen und Gruppen wie die Grünen oder Migrant:innen. Ganz zu schweigen von der fehlenden Einsicht, dass die AfD an der Macht kaum eins der genannten Defizite beheben, sondern ausweislich ihres Programms die infrastrukturellen Probleme des Landes eher noch verschärfen wird.

 

Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen. Die Nachwirkungen des Transformationsschocks der Wiedervereinigung zeigen sich in ländlichen Regionen deutlicher als in den Großstädten, wie zum Beispiel durch die Schließung von Industriebetrieben und folgender Arbeitslosigkeit, Abwanderung in die Städte und fehlender Infrastruktur. Dies hat sicher zum Misstrauen in demokratische Institutionen und Parteien beigetragen, das wir unter AfD-Wähler*innen beobachten. Auch zeigt die Forschung, dass an Orten, wo wenige migrantische Menschen leben, fremdenfeindliche Einstellungen oft stärker verbreitet sind. Beides sind keine neuen Entwicklungen, wahrscheinlich hat die AfD sowohl von dieser schon länger schwelenden Unzufriedenheit profitiert, als auch die aktuell wieder hochkochende Migrationsdebatte für sich genutzt. Die AfD weiß um dieses Mobilisierungspotential auf dem Land und nutzt diese sehr strategisch: Wer vor Wahlen durch Sachsen fährt, kann an den Wahlplakaten deutlich sehen, dass die AfD auf dem Land viel präsenter ist als in den Innenstädten.

 

Auch darin ist nicht viel Neues. Dass viele Menschen in den größeren Städten anders „ticken“ als viele Menschen, die im ländlichen Raum leben, hat mit ihren unterschiedlichen Lebenslagen, unterschiedlichen Teilhabechancen und auseinanderdriftenden Wahrnehmungen der sozialen, wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung in ihren jeweiligen Regionen zu tun. In Sachsen und in Thüringen drückt sich das nun immer deutlicher in der Erosion demokratischer Kultur in den sogenannten „abgehängten“ oder „abdriftenden“ Regionen aus, die von Krisen und Transformationsprozessen besonders hart in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber auch die städtischen Räume sind ja zum Teil sehr unterschiedlich. Und teilweise haben sich die Geschichten kollektiven Abstiegs auch hier eingeschrieben, vielleicht sind sie auf einige Stadtteile begrenzt, während anderswo das Gefühl vorherrscht, „besser weggekommen“ zu sein. Auch in sogenannten „Leuchturm“-Regionen wachsen seit Jahren Gefühle der Entsicherung und der Frust gegenüber „denen da oben“ – man muss also genau hinschauen, was die jeweiligen Bedingungen vor Ort sind.

 

Nach ersten Analysen des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft ist die Kluft zwischen Stadt und Land gar nicht so groß, zumal die ostdeutschen Bundesländer eh ländlich geprägt sind. Zwischen Städten wie Dörfern gibt es zum Teil an ihren Grenzen AfD-starke wie schwächere Räume. Neu an der Entwicklung ist meines Erachtens, dass die jüngere Generation die Normalisierung rechtsradikaler Politikvorstellung vollzogen hat. Neu ist, dass die neurechte Strategie der Besetzung von ideologisch-politischen Vorräumen sich gegen klassische politische Auseinandersetzungen um Landesthemen und den Wählerwillen durchgesetzt hat. Die AfD hat mit dem Ergebnis einen Selbstwert gewonnen hat, der ihre Idee von einem deutschen Volkswillen und einer führungsstarken Partei, beflügelt. Mehr oder minder neu ist, dass Landespolitik für Landtagswahlen sekundär ist, ebenso wie die Beobachtung, dass die klassischen westlich geprägten Parteien bis auf die CDU nicht mehr attraktiv sind. Ich bin mir noch nicht sicher, ab eine neue Entwicklung darin besteht, dass im Osten das orientierende Modell Bild einer politischen Mitte, um die sich alle bemühen müssen, nicht mehr greift. Das Modell des exklusiven gesellschaftlichen Zusammenhalts, der wenigen zunächst vorbehalten ist und anderen Modellen von Zusammenhalt, die von Solidarität und Interessenausgleich vorzuziehen ist, mag sich durchsetzen und das verschiebt die politischen Konflikte und ihre Regulationsmöglichkeiten. Und vieles ist auch nicht neu, weil wahrscheinlich viele die AfD oder das BSW aus nostalgischen historischen Überlegungen und Reflexen gewählt haben. 

 

Das BSW, dem in beiden Bundesländern nun eine kritische Rolle für die Regierungsbildung zukommt, wurde häufig als „Black Box“ beschrieben. Welche gesellschaftlichen Vorstellungen verbinden sich mit dem BSW? Welches Zukunftsbild, wie man miteinander leben will, steckt dahinter?

Wenn man sich die ersten Wahlprogramme des BSW, sowie die politische Kommunikation von Sahra Wagenknecht aus den letzten Jahren anschaut, zeichnen sich (hier natürlich stark verkürzt) mehrere zentrale Inhalte ab: Erstens, eine ökonomisch linke Ausrichtung auf Umverteilung und soziale Gerechtigkeit. Zweitens, eine kulturell konservative Haltung, die sich gegen eine liberale Einwanderungspolitik positioniert. Drittens, ein populistischer Politikstil, der die Belange „der Mehrheit“ durch internationale ökonomische Eliten bedroht sieht. Und Viertens, ein starker inhaltlicher Fokus auf Außenpolitik, mit der Forderung nach einem stärkeren Einsatz der Bundesrepublik für Frieden, insbesondere im Ukraine-Krieg. Bei einer so jungen Partei, die so stark mit ihrer Führungspersönlichkeit verwoben ist, kann man davon ausgehen, dass der Einzug in Parlamente und vielleicht sogar eine Regierungsbeteiligung zu starken Aushandlungsprozessen innerhalb der Partei führen wird. Vor allem landespolitische Inhalte gibt es noch nicht viele, da müssen wir aktuell noch abwarten, wie sich das Profil des BSW in Sachsen und Thüringen in den nächsten Jahren entwickelt. 

 

Das BSW hat sich den Wähler:innen als Alternative sowohl zur Regierungspolitik als auch zu den Politikangeboten der rechtsextremen AfD präsentiert. Sie gilt gemeinhin ja als „linkspopulistisch“, weil sie den Anspruch erhebt, vor allem soziale Schieflagen wirksamer bekämpfen zu wollen. Eine große Rolle spielte nun freilich auch die umstrittene BSW-Position, einfach auf dem Verhandlungsweg Frieden mit Russland herzustellen, was angeblich niemand sonst bisher versucht habe – und sei es um den Preis, dass die Ukraine geopfert wird. Das hat bei einigen Wähler*innen vermutlich genauso verfangen wie die Reden, dass es mit Vielfalt und „Political Correctness“ irgendwie doch übertrieben wurde in der Linken. Das sind dann eher Positionen, die von rechts bzw. rechtsaußen bekannt sind. Wir werden abwarten müssen, inwieweit die BSW sich mit einem klaren inhaltlichen und an der Realpolitik orientierten Kurs profilieren kann. Den Vertrauensvorschuss dafür hat sie bekommen, weil viele Menschen irgendwie einen politischen Wandel haben wollten und sie die Hoffnung antreibt. Wir werden sehen, inwieweit das BSW zur Stabilisierung der Demokratie, zur Abwendung einer schweren Krise, wirklich beitragen kann.  

 

Einige beschreiben die Black Box auch als Populismus, oder eben eine neue dünne Ideologie. Wir haben die Bildung dieser politisch neuen Gruppierung in der Mitte-Studien aus dem Frühjahr 2023 als Querfront-Meinung identifiziert. Es kommt darin eine kapitalismuskritische wie zugleich nationalistische und migrationsskeptische Haltung zum Ausdruck. Die Menschen sind Russland nahe, konservativ bis radikal in Fragen der Beurteilung von Migration, in ihrer anti-amerikanischen Haltung und zugleich in Bruchstücken sozialistisch was Fragen der Umverteilung von Geld und Enteignung von Großkapital betrifft. In der Coronapandemie haben sich solche scheinbar linken neuen ideologischen Gruppen gebildet und Frau Wagenknecht, die zentrale Einstellungen teilte, konnte diese neuen Gruppen nun bündeln. Schwere Krisen wie Pandemien als auch vermehrte transnationale Einflüsse durch andere Länder erleichtern die Bildung von neuen politischen Gruppierungen. Es haben sich in den letzten Jahren überall in Europa und auf anderen Kontinenten neue politische und vor allem populistische Gruppierungen gebildet. Ich bin überrascht, dass das so viele überrascht. Da die Politik durch die global vernetzten Krisen und Transformationsprozesse immer schneller wie komplexer wird, liegt der Modus einer eher oberflächlichen populistischen Bildung von politischen Einstellungen nahe. Und es liegt nahe, dass prominente mediale Menschen das populistische Potenzial eher an sich binden können. 

 

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