A_05 Gesellschaftlicher Zusammenhalt in China – Traditionen und neue Herausforderungen
Standorte: | Leipzig |
Fachdisziplinen: | Geschichtswissenschaft , Kulturwissenschaften , Politikwissenschaft , Soziologie |
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Abstract
Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) betrachtet die Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts von 1,4 Milliarden Menschen als eine ihrer größten Errungenschaften. Doch welches Verständnis von Zusammenhalt liegt dieser Behauptung zugrunde? Wie reagiert es auf Krisen? Das Arbeitspaket untersucht, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt im autoritären China politisch hergestellt wird. Welche Rolle kommt ihm für die Legitimität des Regimes zu?
Unsere Forschung geht davon aus, dass die Legitimität der chinesischen Regierung eng mit dem Aufbau gesellschaftlichen Zusammenhalts verknüpft ist. Neben repressiven Maßnahmen setzt die Regierung darauf, das Vertrauen der Bürger in ihre Führung durch ein kollektives Zugehörigkeitsgefühl zu stärken. Diese Zusammenhaltspolitik soll die Stabilität des Systems sichern.
In seiner Forschung kombiniert das Arbeitspaket historische und aktuelle Perspektiven. Es analysiert, wie China seine Politik des Zusammenhalts gestaltet und wie erfolgreich sie in der Bevölkerung ist. Zudem untersucht es die Auswirkungen dieses Modells auf benachbarte asiatische Staaten, die in vielerlei Hinsicht von China abhängig sind. Dabei wird das chinesische Verständnis von Gemeinschaft und kollektivem Zusammenhalt als Alternative zum individualistisch geprägten westlichen Ansatz betrachtet. Vergleichende Analysen von Umfragen geben Aufschluss darüber, ob sich diese Vorstellungen bereits in der Region verbreitet haben.
Transferaktivitäten
Unsere Forschung wollen wir auch durch Podcasts zugänglich machen. Hierzu führen wir Interviews mit Expert:innen, die die Bedeutung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in China beleuchten. Zentral ist für uns die Frage, wie sich das chinesische Verständnis von Zusammenhalt von westlichen Vorstellungen eines demokratischen Zusammenhalts unterscheidet.
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Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) behauptet, dass eine ihrer größten Errungenschaften darin besteht, in der chinesischen Nation von 1,4 Milliarden Menschen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Nicht selten wird im gleichen Atemzug der Begriff Demokratie für sich in Anspruch genommen, selbst wenn aus der Außensicht und seitens von Demokratieindizes China als klare Autokratie ausgewiesen wird (V-Dem 2024). Damit stellt sich die Frage, mit welchem Verständnis und welcher Ausgestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts wir es in China zu tun haben und wie diese auf Krisen reagiert. So ging die wirtschaftliche Entwicklung Chinas in den letzten rund vierzig Jahren mit sozialer Ungleichheit, einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und Umweltzerstörung einher. Alle diese Entwicklungen sind mit der Gefahr von sozialen Verwerfungen und Unruhen verbunden, weswegen möglicherweise der Hinweis auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt im offiziellen Diskurs der chinesischen Regierung so häufig vorkommt. Die Hauptstrategie der Behörden zur Konstruktion des gesellschaftlichen Zusammenhalts besteht zunehmend darin, die einzige Quelle der Wahrheit zu werden und abweichende Meinungen zu kriminalisieren. Entsprechend handelt es sich (vermutlich) um ein homogenisierendes Verständnis von Zusammenhalt, welches anders als demokratischer Zusammenhalt funktioniert.
Die vergleichend eingebettete Fallstudie untersucht, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt im autoritären China durch eine bewusste Zusammenhaltspolitik erreicht wurde und wird – und welche Bedeutung er für die Legitimität des autokratischen Regimes besitzt. Damit schließt das Arbeitspaket (AP) an die Fragestellung des Schwerpunkts 2 des Themenfelds an, welche die Konstruktion und Produktion gesellschaftlichen Zusammenhalts seitens staatlicher Institutionen in den Vordergrund rückt. Das AP analysiert, wie in China gesellschaftlicher Zusammenhalt vom Staat aufgebaut und vom Staat genutzt wird, um abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen und einen politischen Konsens durchzusetzen, insbesondere wenn es um staatliche Gewalt (politische Verfolgungen) geht. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich bei China um einen prototypischen Fall des autoritären Zusammenhalts handelt und ob die chinesische Zusammenhaltspolitik aufgrund der Machtposition Chinas im asiatischen Raum eine Vorbildfunktion für andere Länder besitzt.
Die bisherige Forschung zeigt, dass die Legitimität der chinesischen Regierung eine starke Triebkraft für den Aufbau eines gesellschaftlichen Zusammenhalts ist. Entsprechend der Fragestellung von Schwerpunkt 2 im Themenfeld wird eine starke Beziehung zwischen einem (autoritären) Zusammenhalt und der Legitimität des chinesischen Systems vermutet. Durch einen erzwungenen Kollektivismus wird gesellschaftlicher Zusammenhalt zu einem Zwangsmittel der sozialen Unterdrückung. Gleichzeitig wird gerade der Zusammenhalt der eigenen Gesellschaft gegenüber demokratischen Gesellschaften als überlegen präsentiert. Die Studie zur politischen Herstellung und Instrumentalisierung von Zusammenhalt im autoritären China bildet somit für das gesamte Themenfeld eine wichtige Kontrastfolie zu der Forschung zum demokratischen Zusammenhalt in liberalen Gesellschaften. Welche Unterschiede, aber vielleicht auch welche Gemeinsamkeiten sich hier beobachten lassen, ist eine Frage, die uns ebenfalls beschäftigt wird.

