Proteste gehören zunehmend zum politischen Alltag. Das Arbeitspaket nimmt ein Protest-Monitoring vor und untersucht Veränderungen und Kontinuitäten von lokalen Protesten in einem europäischen Vergleich zwischen Deutschland, Frankreich und Ungarn. Es geht insbesondere der Frage nach, wie sich diese Protestdynamiken auf den lokalen Zusammenhalt auswirken.
Proteste nehmen sehr unterschiedliche Formen an und unterscheiden sich damit auch in ihrer Wirkung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie können sowohl Ausdruck gelebter Demokratie sein als auch eine Abkehr von demokratischen Institutionen und Partizipationsprozessen bedeuten. Durch Proteste können bestimmte gesellschaftliche Konflikte artikuliert werden, jedoch lassen sich nicht für alle Themen Proteste mobilisieren. Zudem greifen nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen auf das Mittel des Protests zurück.
Das Arbeitspaket untersucht vor diesem Hintergrund Veränderungen und Kontinuitäten in Themen und Beteiligten lokaler Proteste zwischen den Jahren 2010 und 2025. Hierzu nutzen wir quantitative und qualitative Daten und nehmen lokale Protestdynamiken in Deutschland, Ungarn und Frankreich vergleichend in den Blick.
Dabei gehen wir der Frage nach, wie und unter welchen Bedingungen Proteste auf lokaler Ebene demokratischen Zusammenhalt stärken oder schwächen. Für die Beantwortung dieser Frage spielen ideelle, integrative und relationale Elemente eine Rolle:
- Werden demokratische Ansprüche und Ideale vertreten?
- Werden unterrepräsentierte Themen und Gruppen in den demokratischen Prozess eingebunden?
- Und wird die Kooperation zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen gestärkt?
Zudem trägt das Arbeitspaket zur Frage des Themenfelds A bei, wie sich krisenhaft wahrgenommene Entwicklungen der Demokratie in unterschiedlichen Formen der Partizipation niederschlagen. Auch die Auswirkung weiterer jüngere Krisen auf das Protestgeschehen – wie der Klimakrise, der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs – werden untersucht.
Transferaktivitäten
Zu den Zielen des Arbeitspakets gehört es auch, über das Thema Protest und demokratischer Zusammenhalt in den öffentlichen Austausch zu treten. Teil des Arbeitspakets ist die interaktive Webseite protestdata.eu, auf der das Protestgeschehen im Zeitverlauf visualisiert und exploriert werden kann.
Inhalte des Arbeitspakets
Proteste sind eine Form politischer Partizipation, die zunehmend zum politischen Alltag westlicher demokratischer Gesellschaften gehören. Sie können sowohl Ausdruck von voice sein und damit ein Zeichen gelebter Demokratie als auch exit-Reaktionen beinhalten im Sinne einer Abkehr von demokratischen Institutionen und Partizipationsprozessen. Proteste können bestimmte gesellschaftliche Konflikte artikulieren. Nicht alle Themen eignen sich jedoch für erfolgreiche Protestmobilisierungen und nicht alle Bevölkerungsgruppen greifen in gleichem Maße auf das Mittel des Protests zurück. Zudem hängt es stark von den gegebenen politischen Gelegenheitsstrukturen und Traditionen ab, ob und wie Proteste mobilisiert werden.
Wir nehmen im Arbeitspaket (AP) A_06 ein Protest-Monitoring vor und untersuchen in einem europäischen Vergleich, welche Themen und Gruppen in lokalen Protesten im Nachgang der jüngsten Krisen (2010–2025) vertreten sind und wie diese sich auf den lokalen Zusammenhalt auswirken. Konkret untersuchen wir vergleichend lokale Proteste in drei europäischen Ländern (Deutschland, Ungarn und Frankreich) zwischen 2010 und 2025. Lokale Protestdynamiken wurden in der Forschung über viele Jahre vernachlässigt zugunsten der Analyse von Protestereignissen auf nationaler Ebene. Es zeigt sich jedoch, dass lokale Konflikte und Politik durchaus Einfluss haben – nicht nur auf politische Einstellungen und Partizipationsmuster vor Ort, sondern auch auf nationale politische Debatten, Einstellungen und Entscheidungen.
Unsere vergleichende Analyse berücksichtigt die lokalen, nationalen und internationalen Kontextfaktoren lokaler Proteste. So gehen wir einerseits davon aus, dass lokale Proteste von lokalen oder nationalen Konfliktkonstellationen getrieben sind. Gleichzeitig fallen aber in unseren Untersuchungszeitraum drei globale bzw. europäische Krisen, bei denen wir annehmen, dass sie in allen Untersuchungsländern Konfliktlinien und -konstellationen (re-)strukturiert haben: die Klimakrise, die Corona-Pandemie und der Ukrainekrieg. Mit Blick auf diese Krisen vergleichen wir die jeweils lokalen Protestmobilisierungen und gesellschaftlichen Diskurse.
Das AP trägt dazu bei, Antworten auf zentrale Fragen des Schwerpunkts 3 zu geben. Hinsichtlich der Wirkung von Partizipation auf Zusammenhalt fragen wir zum einen: Wie und unter welchen Bedingungen stärken Proteste auf lokaler Ebene demokratischen Zusammenhalt?
Der potentielle Beitrag zum demokratischen Zusammenhalt wird hierbei auf drei Ebenen untersucht:
- a) ideelle Ebene: hier geht es um die demokratischen Ansprüche und Ideale, die in Protesten zum Ausdruck kommen;
- b) integrative Ebene: dies betrifft die Erweiterung demokratischer Beteiligungsformen und die Einbindung unterrepräsentierter Themen und Gruppen in den demokratischen Prozess;
- c) relationale Ebene: hier geht es um veränderte Kooperationsmuster und zunehmend sektorübergreifende Kooperation zwischen lokalen zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Zum anderen untersuchen wir die Frage: Wie und unter welchen Bedingungen schwächen Proteste auf lokaler Ebene den demokratischen Zusammenhalt? Auch diese Frage wird auf den drei genannten Ebenen untersucht:
- a) ideelle Ebene: indem sie anti-demokratischer Tendenzen und politischen Misstrauens verbreiten;
- b) integrative Ebene: indem sie zu mehr Exklusion in politische Prozesse beitragen und Polarisierung von Konflikten verstärken;
- c) relationale Ebene: indem sie sektorübergreifende zivilgesellschaftliche Kooperation erschweren.
Darüber hinaus untersuchen wir auch die umgekehrten Wirkungsrichtung von Zusammenhalt auf politische Partizipation und fragen: Wie wirkt sich das Erstarken rechtspopulistischer und anti-demokratischer Akteure und deren Vorstellungen völkischen und exkludierenden Zusammenhalts auf das lokale Protestgeschehen aus? Diese Fragen werden sowohl im Zeitverlauf als auch Ländervergleichend untersucht.