Integration durch Recht? Erfolge und Grenzen der rechtlichen Gemeinschaftsbildung in der Europäischen Union
Abstract
Die Europäische Union wird häufig als »Rechtsgemeinschaft« bezeichnet, um die zentrale Stellung des Rechts für den Einigungsprozess zu beschreiben. Das trifft insofern zu, als der rechtliche Zusammenhalt bis heute weitaus stärker ausgeprägt ist als die politische Integration und die bürgerschaftliche Legitimationsbasis. Ein Missverständnis wäre es jedoch, wenn man die Tradition der rechtsbasierten Integration so verstünde, dass die Rechtsgemeinschaft ihre Grundlagen selber sichert. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und die Kommission waren auch deshalb erfolgreich, weil ihre Tätigkeit von einer prinzipiellen politischen Unterstützung getragen war. Hieraus folgt zugleich, dass die klassischen Instrumente der Rechtsintegration keine institutionelle Blaupause bereitstellen, wie die EU ihren Zusammenhalt in Zeiten garantiert, in denen europäische Entscheidungen anders als früher das Leben der Menschen sichtbar beeinflussen und insofern politisch salient sind. Der gescheiterte Verfassungsvertrag zeigt ebenso wie die Grundrechtejudikatur, dass ein europäischer Verfassungspatriotismus mehr verlangt als Gerichtsurteile. Notwendig ist eine identifikatorische Verankerung, die das europäische Recht bisher nur teilweise besitzt. Insofern ist es kein Zufall, dass die zentralen Reformschritte der letzten Jahre zwar mittels Rechtsakten umgesetzt, vom EuGH nicht jedoch maßgeblich angestoßen wurden.
Quellen
Thym, Daniel. 2024. Integration durch Recht? Erfolge und Grenzen der rechtlichen Gemeinschaftsbildung in der Europäischen Union. In: Zusammenhalt durch Recht?, hg. von Klaus Günther, Daniel Thym und Uwe Volkmann, 127–144. 1. Auflage. Gesellschaftlicher Zusammenhalt 1. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 10.04.2024.