D_01 Culture Wars und Moralismus-Kritik: Kämpfe um Werte und Identitäten

Standorte:

Berlin, Leipzig

Fachdisziplinen:

Geschichtswissenschaft , Kulturwissenschaften , Soziologie

Gehört zu:

Abstract

In den transatlantischen Kulturkämpfen um Konzepte wie Gender und Wokeness tritt Moralismus-Kritik immer mehr in den Vordergrund. Das Arbeitspaket untersucht, welche Akteur:innen mit welchen Motiven und Argumenten in diesen Debatten auftreten, und wie sich diese Debatten historisch verändert haben.

Akteur:innen der „Culture Wars“ werten Konzepte wie Gender und Wokeness zunehmend als moralisierend. Dabei stellen sie nicht selten Ethik generell in Frage. Zudem werfen die Kritiker:innen diesen Konzepten und ihren Vertreter:innen vor, ein US-Import zu sein und nur die Partikularinteressen und Identitätspolitik bestimmter Gruppen zu verfolgen. Letzlich würden die Konzepte damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen. Politikwissenschaftliche Kritik dagegen sieht demokratische Institutionen durch überhöhte moralische Positionen bedroht.

Neu sind aber weder die „Kulturkämpfe“ noch die Moralismus-Kritik. Wir fragen deshalb, wie sich die Inhalte der Debatten, die Motivationen und die Rhetorik der Akteur*innen seit dem 19. Jahrhundert verändert haben:

  • Wo verläuft die Grenze zwischen berechtigter moralischer Kritik und unberechtigtem Anprangern?

  • Gefährdet Moralismus den Zusammenhalt oder braucht Zusammenhalt ethische Grundlagen? 

  • Von welchen politischen oder philosophischen Positionen aus wird Kritik an Moralismus, Wokeness und Genderthematiken geäußert? 

  • Welche Rolle spielen die sozialen Medien in diesen Debatten?


Transferaktivitäten

Wichtig ist uns bei diesem Thema der Austausch mit der Praxis. Wir suchen den Austausch zu unseren Fragen mit Journalist*innen, Vertreter*innen von Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen.


 C_08 - Regionalpanel

⇨  D_02 - Transnationaler Ideologietransfer der populistischen und extremen Rechten

Das Arbeitspaket (AP) untersucht für Deutschland und den transatlantischen Kontext Sinnstrukturen und historische Entwicklungen der Konflikte um Werte, Identitäten und Wissensordnungen an Hand der Kulturkämpfe um Moral und Befreiung von Diskriminierung und Unterdrückung. Es konzentriert sich dabei auf die Geschichte der heutigen politischen Kampfbegriffe Gender, Wokeness und Moralismus. 

Affektiv besetzte culture wars beziehen sich aktuell auf Themen wie ökonomische Ungerechtigkeit, rassistische oder sexistische Diskriminierung oder auf Maßnahmen gegen die Klimakrise. Zu beobachten ist dabei eine Moralismus-Kritik, die oft die Legitimität von Ethik generell anzweifelt, und damit eine der Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Denn Ethik stellt eine Sinnstruktur zur Handlungsevaluation bereit, strukturiert geteilte Werte und begründet Solidarität. Rechtskonservative ebenso wie linke Kritiker monieren eine vermeintliche totalitäre „Tyrannei der Werte“ und angebliche Sprechverbote durch Political Correctness. Und auch in den Wissenschaften wird Moralismus kritisch diskutiert: Politikwissenschaftliche Untersuchungen etwa diagnostizieren moralisch provozierte Legitimationsverluste und Polarisierungen und sehen demokratische Institutionen durch die „selbstgerechte Stilisierung der eigenen moralischen Position“ bedroht. In der Moralphilosophie wird die „Erosion der Moral durch Moralisieren“ diskutiert – Moralismus instrumentalisiere Ethik, reduziere Komplexität und maße sich Zuständigkeit an. Und den Sozialwissenschaften attestiert Hirschman sogar eine traditionelle Abneigung gegenüber der Moral. 

Auch in den transatlantischen culture wars um Konzepte wie Gender und Wokeness wird Moralismus kritisiert. Zudem wird konstatiert, dass diese aus den USA „importierten“ Denkweisen auf Grund von Partikularinteressen und Identitätspolitik zugunsten bestimmter sozialer Gruppen den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Demokratie und „den Westen“ allgemein bedrohten. Gleichzeitig findet eine semantische Umdeutung statt. Ging es in den USA seit dem 19. Jahrhundert beim Begriff Wokeness um Wissen und Wachsamkeit in Bezug auf Diskriminierung, wurde er in der letzten Dekade mit cancel culture in Verbindung gebracht und mit einem Moralismus-Vorwurf belegt. Eine ähnliche Verkehrung ins Gegenteil erlebte der Begriff Gender, der ursprünglich darauf abzielte, Wissen über geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu generieren, inzwischen aber als „Gender-Ideologie“ für bestimmte gesellschaftliche Gruppen zum Symbol für die Gefährdung einer heteronormativen gesellschaftlichen Ordnung und für demokratische Gesellschaften allgemein geworden ist. 

Um verstehen zu können, wie sich die verschiedenen Positionen in den Debatten um Moralismus und culture wars zu Fragen des Zusammenhalts verhalten, will das AP zwei Forschungslücken schließen: 1. Welche Motive und Argumentationsmuster finden sich bei den konkreten Akteur:innen der Moralismus- und culture war-Debatten? 2. In welchen historischen Abhängigkeiten stehen die Debatten? Denn neu sind weder moralische Argumentation noch Moralismus-Kritik und „Kulturkämpfe“.

Beide Forschungslücken werden in zwei zusammenhängenden Modulen adressiert. 

Modul 1 (Lüthi/Möhring) fokussiert die Frage von Wokeness und Gender-Ideologie innerhalb von culture wars dies- und jenseits des Atlantiks vor allem seit den 1960er Jahren. Seit Dekaden beeinflussen „epistemologies of liberation“, wie die Fragen von Geschlecht, gesellschaftliche Selbstverständnisse, Identitätspolitiken und Vorstellungen politischer und kultureller Partizipation. Untersucht werden sollen die argumentativen Repertoires und rhetorischen Strategien der Debatten (etwa affektive Dynamiken und moralische Repertoires) und deren unterschiedlichen Adaptionen für die USA, Deutschland und die Schweiz. Eine vorläufige These ist, dass die von Ressentiment- und Social-Media-Dynamiken radikalisierten Debatten um die zu Kampfbegriffen gewordenen Begriffe „woke“ und „gender“ die Diskussionskultur dabei auf eine Art verändern, dass sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. 

Modul 2 (Berek) geht von der Beobachtung aus, dass die Problematisierung von Moralismus auch zur Delegitimierung der Kritik an kritikwürdigen Zuständen genutzt wird, indem Teilbereiche von Gesellschaft der Geltung von Moral entzogen werden sollen. Eine Untersuchung deutscher Debattenbeiträge der letzten fünf Jahre soll Überblick darüber verschaffen, welche realen und konstruierten Positionen als moralistisch interpretiert werden, wo die Grenzen zwischen berechtigter moralischer Kritik und „verwerflichem Anprangern“ gezogen werden und von welchen politischen oder philosophischen Positionen aus Moralismuskritik geäußert wird. Ein zweiter Schritt widmet sich den historischen Pfadabhängigkeiten der gegenwärtigen Debatten. Die Wurzeln der „Moralophobie“ lassen sich zwar bis in die Renaissance zurückverfolgen, für die Gegenwart bestimmender sind jedoch die kulturpessimistischen Spielarten ab dem 19. Jahrhundert. Auf dieser historischen und diskursanalytischen Grundlage soll schließlich eine Aktualisierung der theoretischen Diskussion um Zusammenhalt und Ethik unter Rückgriff auf berechtigte Bedenken der Moralismus- Kritik vorgenommen werden.

Principal Investigators

Laufzeit, Themen- und Forschungsfelder

Laufzeit:

06/2024 – 05/2029

online
Public Viewing: University of Bremen Mary-Somerville Str. 7 Conference Room (7.3280) 28359 Bremen

One Year After Trump’s Election: Where Does America Stand?

Online Panel Discussion with Barbara Lüthi (FGZ Leipzig), Thomas Zimmer (DAAD), Lukas Hermsmeier (Journalist) and Lora Anne Viola (John F. Kennedy Institute) moderated by Regina Arant & Florian König (U Bremen/BIGSSS)
Berlin
Lichthof der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10117 Berlin

Solidaritäten transformieren. Praktiken und Infrastrukturen in der Migrationsgesellschaft.

Unsere Gegenwart ist geprägt von tiefgreifenden Umbrüchen: Pandemien und Kriege, Klimakrise und Digitalisierung, globale Mobilität und Migration fordern uns heraus, Demokratie und Zugehörigkeit neu zu denken. Inmitten einer weltweiten Entsolidarisierung stellt sich die Frage, wie gesellschaftliche Beziehungen neu gestaltet werden können. Dieser Frage wird in der Buchvorstellung nachgegangen.
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