Themenfeld A: Politik des demokratischen Zusammenhalts
Demokratischer Zusammenhalt konstituiert sich in den institutionellen und zivilgesellschaftlichen Kontexten demokratischer Teilnahme und Teilhabe, die durch die aktuellen Krisen- und Transformationsdynamiken unter verstärkten Druck geraten und zum Gegenstand von Auseinandersetzungen werden. Die betreffenden Institutionen sehen sich mit einem Vertrauensverlust und dem Erstarken subversiver Kräfte konfrontiert.
Vor diesem Hintergrund fragen wir in Themenfeld A, welcher Zusammenhang zwischen der Krise der Demokratie – empirisch verstanden als Vertrauensverlust in demokratische Institutionen, Wahrnehmung fehlender Problemlösungsfähigkeit und Responsivität und Erstarken antidemokratischer Akteure – und dem demokratischen Zusammenhalt besteht und wie politische Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteure vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Transformationen auf diese Krise reagieren bzw. reagieren sollten. Diese übergeordnete Fragestellung wird in den Schwerpunkten des Themenfelds jeweils auf konkrete Fragestellungen heruntergebrochen, die von jeweils mehreren Arbeitspakten gemeinsam bearbeitet werden. Drei Aspekte sind dabei Schwerpunkt-übergreifend von besonderem Interesse:
- 1. Die Krise der Demokratie als Ursache der Krise des demokratischen Zusammenhalts: Wie ergeben sich theoretisch aus demokratischen Praktiken und Prinzipien Konzeptionen des demokratischen Zusammenhalts und wie wirken sie sich empirisch als krisenhaft wahrgenommene Entwicklungen demokratischer Systeme auf den demokratischen Zusammenhalt aus?
- 2. Krise der Demokratie als Folge der Krise des demokratischen Zusammenhalts: Wie wirken sich Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts – und hier insbesondere des demokratischen Zusammenhalts – auf politische Prozesse in Demokratien aus?
- 3. Politische Reaktionen auf Krisen der Demokratie und des (demokratischen) Zusammenhalts: Welche Rolle spielt gesellschaftlicher Zusammenhalt für die Reaktionen verschiedener Akteursgruppen (politische Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteure) auf politische Krisen spielt?
Schwerpunkte
Das Themenfeld setzt sich aus vier Schwerpunkten zusammen, denen jeweils mehrere Arbeitspakete zugeordnet sind.
1. Schwerpunkt: Demokratischer Zusammenhalt: normative und empirische Perspektiven
In diesem Schwerpunkt möchten wir ein zentrales Desiderat unserer theoretisch-begrifflichen Diskussionen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt angehen: die Konzeption des demokratischen Zusammenhalts. Die Arbeitspakete des Schwerpunkts fragen, wodurch genau sich demokratische Formen des Zusammenhalts auszeichnen, wie sie normativ zu bewerten und verfassungsrechtlich zu regeln sind und welcher Zusammenhang zwischen ihnen und der Performanz demokratischer Institutionen besteht.
2. Schwerpunkt: Zusammenhaltspolitik und die Bedingungen politischer Legitimität
Der zweite Schwerpunkt des Themenfelds richtet den Blick auf die Reaktion politischer Institutionen auf (vermeintliche) Krisen des Zusammenhalts. Hier fragen wir in verschiedenen politischen Kontexten danach, warum und unter welchen Bedingungen unterschiedliche Institutionen – Demokratien, Autokratien und internationale Organisationen – eine aktive Zusammenhaltspolitik betreiben, also politische Maßnahmen mit dem Ziel ergreifen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken bzw. zu verändern. Dabei gehen sie von der These aus, dass politische Institutionen insbesondere dann zur Zusammenhaltspolitik greifen, wenn sie sich um ihre Legitimität sorgen.
3. Schwerpunkt: Partizipation und Protest zwischen voice und exit
Dieser Schwerpunkt untersucht die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichem Zusammenhalt und politischer Partizipation jenseits von Wahlen und Parteiengagement. Zivilgesellschaftliche Beteiligungsformen haben in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen, auch weil staatliche Institutionen und Parteien zunehmend als wenig effektiv, responsiv und repräsentativ wahrgenommen werden. Partizipation und Protest sind insofern auch als eine Reaktion auf die Krise der Demokratie zu verstehen. Die Arbeitspakete des Schwerpunkts untersuchen, unter welchen Bedingungen sie diese Krise verschärfen und wann sie zu ihrer Überwindung beitragen.
4. Schwerpunkt: Politisierung von Differenz
Die drei Arbeitspakete dieses Schwerpunkts beschäftigen sich mit der Politisierung von gesellschaftlichen Differenzen und ihren Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Prozesse. Der Schwerpunkt möchte erstens klären, wie und unter welchen Bedingungen sich kulturelle Differenzen, konkurrierende Identitätskonstruktionen, Einstellungen und Interessenlagen politisieren – bzw. von politischen Unternehmern gezielt politisiert werden – und zum Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen werden.