Politiken des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Afrika: Verflochtenes Regieren in post-Trauma-Gesellschaften und die Rolle internationaler Organisationen
A_04 – Leipzig
Als Teil des Schwerpunkts Zusammenhaltspolitik und die Bedingungen politischer Legitimität untersucht das Arbeitspaket (AP) empirisch top-down und bottom-up governance- Strategien und -Praktiken in Äthiopien, Ruanda und Südafrika zu Herstellung eines gesellschaftlichen Zusammenhalts. In den drei Ländern entstehen aktuell Politiken zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in einem Spannungsverhältnis zwischen regionalen Pfadabhängigkeiten, transregionalen Verflechtungen und diskursiven Rahmungen durch internationale Organisationen.
Das AP untersucht diesen Zusammenhang in drei Staaten, in denen nach der Überwindung tiefgreifender politischer Krisen und gewaltsamer Konflikte bewusst verschiedene Politiken zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts eingeleitet worden sind: in Ruanda nach dem Genozid (1994), in Südafrika nach dem Ende der Apartheid (1994) und in Äthiopien nach dem Krieg zwischen der Zentralregierung und der Führung der Tigray-Region (2020–2022). Im Einzelnen weisen die Politiken Unterschiede in den Regierungstechniken auf: nationale Dialoge (Äthiopien), staatliche gelenkte politische Bildung (Ruanda), Sozial-, Arbeits- und Einwanderungspolitiken (Südafrika) sowie unterschiedlich angelegte transitional justice-Prozesse. Dabei sind indigene Traditionen der Konfliktbearbeitung ebenso zu beobachten wie Formen des Kulturtransfers und des sozialen Lernens in transregionalen Kontexten. Wir untersuchen ferner, wie drei internationale Norm Entrepreneure: die Afrikanische Union (AU), das UN Development Programme (UNDP) und die UN Commission for Africa (UNECA), das Verständnis des gesellschaftlichen Zusammenhalts rahmen. Was passiert konkret, wenn universelle Vorstellungen von Zusammenhalt – z.B. die Konzeption eines „demokratischen“ Zusammenhalts – mit indigenen, traditionellen und partikularen Vorstellungen aufeinandertreffen? Ebenso fragen wir nach der Wechselwirkung zwischen politischen Institutionen und Zusammenhalt, der oftmals nicht einheitlich definiert wird, sondern dem parallel existierende und miteinander konkurrierende Verständnisse zugrunde liegen.
Zusammen mit der Nachzeichnung internationaler dialektischer Verflechtungen trägt die Offenlegung unterschiedlicher Politiken, Praktiken und Bedeutungsverschiebungen des Zusammenhalts zur Beantwortung der Kernfrage des Schwerpunkts 2 des Themenfelds bei, nämlich wie und warum politische Institutionen spezifische Praktiken und Politiken auswählen, um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erzeugen. Weiterhin untersuchen wir aus Perspektiven des globalen Südens wie dieser imaginierte bzw. reell gestärkte Zusammenhalt nach einem gesamtgesellschaftlich durchlebten Trauma die Legitimität von staatlichen Institutionen entweder stärkt oder dieser abträglich sein kann. Die Bedeutung von Transformation unter Bedingung der Globalisierung ist in den drei zu untersuchenden Ländern vor dem Hintergrund eines (post-crisis) ökonomischen Wachstumsversprechens und eines gleichzeitigen Weiterbestehens bzw. einer Verschärfung der massiven Ungleichverhältnisse besonders kontrovers diskutiert. In dem es lokalen Kosmologien und Praktiken zum gesellschaftlichen Zusammenhang in das Zentrum der Untersuchung stellt, leistet das AP auch einen zentralen Beitrag zur Dekolonisierung des Begriffs „gesellschaftlicher Zusammenhalt“ und trägt zur methodologischen Diskussion über internationale Vergleich- und Messbarkeit bei.
Prof. Dr. Ulf Engel
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06/2024 – 05/2029FGZ-interne Kooperationspartner:innen
Prof. Dr. Astrid Lorenz
Praxispartner:innen
- AU Commission (Addis Abeba, Äthiopien)
- United Nations Development Programme (Nairobi, Kenia)
- United Nations Economic Commission for Africa (Addis Abeba, Äthiopien)