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Demokratischer Zusammenhalt zwischen Inklusion und Exklusion: Theoretische Grundlagen, rechtliche Verfasstheit und politische Dynamiken

A_01 – Frankfurt am Main – Konstanz

Ein besonderes Merkmal der Forschungsprogrammatik des FGZ besteht darin, dass es zwischen einem allgemeinen, nicht normativ bestimmten Konzept des Zusammenhalts und spezifischeren Konzeptionen unterscheidet. Dies erlaubt die genauere theoretische sowie empirische Analyse solcher Konzeptionen, insbesondere ihrer normativen Spezifik und ihrer inklusiven bzw. exkludierenden Implikationen. 

Das vorliegende Arbeitspaket (AP) fokussiert auf eine dieser Konzeptionen: die des demokratischen Zusammenhalts. Es fragt: Wie ist eine normative Theorie demokratischen Zusammenhalts näher zu bestimmen, welche rechtliche Verfasstheit zeichnet demokratischen Zusammenhalt aus, und welche Exklusionen werden auch dann produziert, wenn bestimmte Inklusionskriterien Berücksichtigung finden? Im Ausgang von den Ergebnissen der ersten Förderphase sucht das AP diese Fragen in interdisziplinärer Zusammenarbeit zu beantworten. Damit schafft es wichtige begriffliche und normative Grundlagen für die Forschungsagenda der zweiten Förderphase des FGZ, in der die Voraussetzungen und Implikationen demokratischen Zusammenhalts eine zentrale Rolle spielen. 

Durch die Kombination philosophischer, verfassungs- und europarechtlicher Perspektiven beforscht das Team die übergreifende Frage des ersten Schwerpunkts des Themenfelds, wie demokratischer Zusammenhalt in von pluralen Weltanschauungen und vielfältigen Konflikten geprägten Gesellschaften entstehen und politisch gefördert bzw. rechtlich stabilisiert werden kann und sollte. Die Konzeption des demokratischen Zusammenhalts wird dabei einerseits normativ im Sinne einer Idealvorstellung verstanden, andererseits empirisch, insbesondere als in der Realität wirksames Leitbild. Diese beiden Blickwinkel werden in einer umfassenden Analyse der Dynamiken von Inklusion und Exklusion zusammengeführt – mit der Pointe, dass bestimmte Inklusionsformen Exklusionen verursachen bzw. verschleiern und dies auf die Gesellschaft zurückwirkt. 

Die Forschung des AP ist in fünf Module gegliedert, die jeweils einem PI zugeordnet sind. Die Forschungsergebnisse der Module werden regelmäßig in AP-Workshops synthetisiert und in gemeinsamen Veranstaltungen und Publikationen gebündelt. 

Modul 1

Das politiktheoretische Modul von Rainer Forst beabsichtigt, in der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Demokratietheorie und der Debatte über social cohesion eine reflexive Vorstellung demokratischen Zusammenhalts zu entwickeln. Dabei rückt die Praxis der Rechtfertigung normativer Ordnungen in den Mittelpunkt, was die Frage von Inklusion und Exklusion explizit zum Thema macht. Im Dialog mit sozial- und rechtswissenschaftlicher Forschung soll auf dieser Basis das folgende (scheinbare?) Paradox aufgelöst werden: Demokratischer Zusammenhalt setzt gerade in pluralistischen Gesellschaften einen Verzicht auf die Prämierung kultureller Homogenität voraus, um inklusive demokratische Gerechtigkeit zu realisieren – aber dabei droht (nach Meinung vieler) die kulturelle „Substanz“ für eine egalitäre Form sozialer Gerechtigkeit zu schwinden, die für eine inklusive Demokratie fundamental ist. Daran schließt sich die kritische Frage an, inwiefern bestimmte Verständnisse des Begriffs „Zusammenhalt“ für den ideologieverdächtigen Versuch stehen, mit der Forderung nach Inklusivität Exklusion zu produzieren (als Beispiel dient hierzu die neuere Diskussion um die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts). 

Modul 2

Aus juristischer Perspektive befasst sich Judith Froeses Modul mit den (verfassungs-)rechtlichen Gelingensbedingungen für demokratischen Zusammenhalt, vor allem den Komponenten der politischen Chancengleichheit, Partizipation und Repräsentation sowie Möglichkeiten der Einheit in einer diversen Gesellschaft. Die politischen und juristischen Diskurse zu diesem Themenkomplex sind als Referenzmaterie für das ambivalente Verhältnis von Inklusion und Exklusion besonders geeignet: Ungleiche Teilhabe wird hinsichtlich der Merkmale Geschlecht und ethnische Herkunft zunehmend für ein rechtlich relevantes Problem erachtet, dem durch verbindliche Vorgaben begegnet werden soll. Demgegenüber zeigt sich eine Leerstelle im Diskurs hinsichtlich anderer Ungleichheiten, namentlich sozialer Unterschiede. Dabei wirkt sich ein Mangel an Ressourcen und Anerkennung bei den ökonomisch „Anderen“ auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus und kann die Legitimität politischer Institutionen in Frage stellen, weshalb dieser Aspekt eingehender Erforschung bedarf. 

Modul 3

Anhand eines Vergleichs zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten untersucht das Modul von Uwe Volkmann die Rolle von verfassungsrechtlichen Institutionen sowie von Verfassungen insgesamt für den demokratischen Zusammenhalt. Verfassungen können als Versuch verstanden werden, eine anspruchsvolle Form von Zusammenhalt zu etablieren, die ohne ethnische, kulturelle oder religiöse Homogenität auskommt und stattdessen rechtliche Inklusionsmechanismen produziert. Eine noch nicht hinreichend erforschte Rolle kommt dabei Verfassungsgerichten zu: Diese können mit ihren Entscheidungen sozial integrierend wirken, wie es im Großen und Ganzen für die Bundesrepublik beobachtet werden kann, aber umgekehrt auch zur Polarisierung einer Gesellschaft beitragen, wie die Debatte um die Abtreibungsurteile des US Supreme Court demonstriert hat. Deswegen soll im Rechtsvergleich untersucht werden, unter welchen Bedingungen Verfassungsgerichte einen Beitrag für demokratischen Zusammenhalt leisten können. Diese Analyse beschränkt sich nicht auf die juristisch-dogmatische Ebene, sondern enthält auch eine sozialwissenschaftliche Komponente. 

Modul 4

Klaus Günthers Beitrag geht davon aus, dass die Voraussetzungen inklusiver demokratischer Gerechtigkeit sowohl einen hohen Komplexitätsgrad aufweisen als auch in konfliktreichen Prozessen reproduziert werden müssen. Vor allem in Zeiten großer Krisen kann dies zu Erfahrungen von Exklusion führen, die sich unter anderem in Ängsten vor Kontroll- und Freiheitsverlusten sowie existenzieller Unsicherheit äußern. Unter diesem Eindruck gewinnen Ordnungsvorstellungen vermehrt Zuspruch, die darauf mit einer Reduktion des Komplexitätsgrades sowie der absoluten Vorrangstellung eines vermeintlich homogenen demokratischen Mehrheitswillens reagieren wollen. Ein Beispiel dafür ist die Entgegensetzung von Demokratie gegen Grund- und Menschenrechte einschließlich verfassungsgerichtlicher Normenkontrolle, womit jedoch wiederum Exklusionen, etwa von Minderheiten, heraufbeschworen würden. Deshalb ist es erforderlich, erstens, zu zeigen, ob und inwiefern Komplexität und Konflikt notwendige Bedingungen inklusiver demokratischer Gerechtigkeit sind, zweitens, ab wann Komplexität und Konflikt demokratische Gerechtigkeit gefährden, und, drittens, wie sich ein adäquates Niveau demokratischer „hierarchischer Komplexität“ so gestalten lässt, dass es destruktive Effekte vermeidet und nicht zu simplifizierenden Reduktionen motiviert. 

Modul 5

Die Dynamik von Inklusion und Exklusion untersucht das Modul Daniel Thyms aus migrationsrechtlicher Perspektive. Der Beitrag setzt daran an, dass in Debatten über gesellschaftlichen Zusammenhalt häufig das Ziel gleicher Anerkennung und Teilhabe akzentuiert wird, dabei aber unterbelichtet bleibt, dass der Zusammenhalt in und die gleiche Teilhabe an einer partikularen Gesellschaft immer auf Ausschlüssen beruhen. Vor diesem Hintergrund dient Thym das Migrationsrecht als Analysefolie, um abgestufte Formen der Mitgliedschaft und rechtlich sanktionierte Ausschlüsse sichtbar zu machen. Offenbar wird dies am Beispiel der Europäischen Union, deren Recht aus einer juristischen Perspektive maßgeblich die In- und Exklusionswirkungen auf nationaler Ebene beeinflusst. Während die europäische Einheit noch bis vor Kurzem als Inbegriff einer öffnenden Bewegung erschien, die Grenzen überwindet, betont die jüngere Forschung den Kontrast zwischen Binnenfreizügigkeit und harten Außengrenzkontrollen. Begleitet werden damit einhergehende Ausgrenzungen häufig durch eine Betonung von realen oder vermeintlichen Gefahren unter Einschluss kultureller Abgrenzungsmarker. Für eine ganzheitliche Zusammenhaltskonzeption ist ein Bewusstsein für diese Abgrenzungsmechanismen zentral. Dies gilt für die staatsinternen Ausschlüsse von Menschen ohne Wahlrecht ebenso wie für die externe Nichtbeteiligung von Personen, die von staatlichen Maßnahmen betroffen sind. 

Prof. Dr. Rainer Forst
Frankfurt am Main

Prof. Dr. Rainer Forst

Seit 2017: Forschungsprofessor für Politische Theorie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)Seit 2012: Direktor der…
forst@em.uni-frankfurt.de
Prof. Dr. Uwe Volkmann
Frankfurt am Main

Prof. Dr. Uwe Volkmann

Seit 2015: Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt1999/2000: Inhaber des…
volkmann@jur.uni-frankfurt.de
Prof. Dr. Klaus Günther
Frankfurt am Main

Prof. Dr. Klaus Günther

2018-2022: Pro- und Forschungsdekan sowie Dekan (2019 - 2021) des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Goethe-Universität…
k.guenther@jur.uni-frankfurt.de 
Prof. Dr. Judith Froese
Konstanz

Prof. Dr. Judith Froese

Seit 2021: Universitätsprofessorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Nebengebieten an der Universität…
judith.froese@uni-konstanz.de
Prof. Dr. Daniel Thym
Konstanz

Prof. Dr. Daniel Thym

Seit 2021: Leitung des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht an der Universität KonstanzSeit 2012: regelmäßige…
daniel.thym@uni-konstanz.de

Projektmitarbeiter:innen

 Felix Kämper
Frankfurt am Main

Felix Kämper

2018: MA Politische Theorie2015: BA Philosophie und Politische Ökonomik
kaemper@em.uni-frankfurt.de
 Fabian Rasem
Frankfurt am Main

Fabian Rasem

Seit 2021 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am FGZ Standort Frankfurt a.M.2020-2021 Projekttätigkeiten (Counter Extremism Projekt…
fr@em.uni-frankfurt.de

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