Grundbegriffe, Theorien und Semantiken
Im Zentrum des Forschungsfelds stehen Leitfragen nach Kontinuität und Wandel des Zusammenhaltsbegriffs, den Quellen von Zusammenhalt, den sozialen Kontexten, in denen Probleme des Zusammenhalts als Krisen wahrgenommen werden, den gelebten Praktiken gesellschaftlichen Zusammenhalts und den gesellschaftlichen Funktionen, die Zusammenhalt zugeschrieben werden.
Im Forschungsfeld Grundbegriffe, Theorien und Semantiken sind Projekte versammelt, die zu spezifischen Grundbegriffen (neben Zusammenhalt etwa Integration, Inklusion, Partizipation, aber auch Vertrauen, Respekt, Solidarität und Toleranz) und ihrer jeweiligen ideengeschichtlichen Situierung sowie zu umfassenden Theorien beziehungsweise kulturellen Semantiken des Zusammenhalts arbeiten. Den Vorhaben in diesem Bereich geht es um die Präzisierung unseres Verständnisses gesellschaftlichen Zusammenhalts, die Typologisierung von Spielarten des Zusammenhalts und die Kartierung des semantischen Umfelds, in dem der Begriff operiert.
Vergleichende Perspektive
Die Projekte LEI_F_02 und LEI_F_12 nähern sich diesen Fragen aus historisch-vergleichender Perspektive. LEI_F_02 untersucht die Diskurs- und Ideengeschichte von gesellschaftlichem Zusammenhalt und „Integrationsdebatten“ in Deutschland, Großbritannien und Frankreich im langen 20. Jahrhundert und identifiziert distinkte „Semantiken der Integration“, die sich bis heute in diesen Auseinandersetzungen nachweisen lassen. Zugleich bindet es die Ergebnisse der global vergleichenden Forschungen von Cluster 3 systematisch an die Grundlagendebatten in Cluster 1. LEI_F_12 verbindet den historischen Ansatz ebenfalls mit einem systematischen Interesse. Es untersucht Krisen des Zusammenhalts in der europäischen Zwischen- und Nachkriegszeit und fragt, ob sich anhand der Anlässe und vorgeschlagenen Reaktionsweisen bestimmte Typen der gesellschaftlichen Thematisierung von Zusammenhalt bestimmen lassen. Die unter anderem in diesen Projekten untersuchten Diskurse zu Zusammenhaltsbegriffen und -dispositiven werden im Transferprojekt KON_T_01 für ein breiteres Publikum durch ein historisch rückgebundenes und theoretisch reflektiertes Kompendium der „Schlüsselbegriffe gesellschaftlichen Zusammenhalts“ aufbereitet. LEI_F_13 und LEI_F_14 richten den Blick auf den gegenwärtig häufig diagnostizierten Legitimitätsverlust der liberalen Demokratien und untersuchen, welche Rolle in diesen Debatten politische und gesellschaftliche Gegenmodelle wie etwa die Volksrepublik China oder Putins Russland spielen. Sie fragen, welche Eigenschaften dieser Gesellschaften ihre Attraktivität für linke wie rechte Kritiker des liberal-demokratischen Status quo ausmachen.
Theorien des demokratischen Zusammenhalts
Auf den Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Schwierigkeiten seiner Operationalisierung und Messung fokussieren die Projekte FRA_F_01, FRA_F_07, GÖT_F_03, BIE_F_02, BRE_F_01 und BRE_F_02 / GÖT_F_01. FRA_F_01 rekonstruiert den gesellschafts- und sozialtheoretischen Diskurs der Moderne zum Problem sozialen Zusammenhalts und entwickelt auf dieser Grundlage eine Theorie demokratischen Zusammenhalts, die die integrative Kraft geteilter Rechtfertigungsnarrative herausarbeitet. FRA_F_07 untersucht ebenfalls den Zusammenhang zwischen Zusammenhalt und geteilten moralischen Prinzipien und fragt, unter welchen Bedingungen moralische beziehungsweise als moralisierend empfundene Kritik in gesellschaftlichen Debatten desintegratives Potential entfaltet und was daraus normativ für moralisches Argumentieren in öffentlichen Diskursen folgt. Ebenfalls zum Konzept des Zusammenhalts und seinem semantischen Umfeld arbeitet das Projekt GÖT_F_03. Es fokussiert auf den Zusammenhang von Arbeit und Zusammenhalt und möchte in Auseinandersetzung mit arbeitssoziologischen Grundbegriffen wie Solidarität und Konkurrenz, Kooperation und Konflikt, Bindung und Entgrenzung ein analytisches Konzept zur Untersuchung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der Arbeitswelt entwickeln.
Während sich die Projekte aus Frankfurt und Göttingen theoretisch mit Begriff und Quellen gesellschaftlichen Zusammenhalts auseinandersetzen, fragt BIE_F_02, welche theoretischen Annahmen gängigen Operationalisierungen, wie sie in verbreiteten Datensätzen und Indizes vorliegen, zugrunde liegen. Das Projekt unterscheidet die verschiedenen Operationalisierungen nach den verwendeten Indikatoren gesellschaftlichen Zusammenhalts und testet ihre Messgenauigkeit für unterschiedliche Erhebungsmodi. Es verbindet somit grundsätzliche theoretische Fragen nach dem Begriff des Zusammenhalts mit Anwendungsfragen der empirischen Sozialforschung. Gleiches gilt für die Projekte BRE_F_01 und BRE_F_02 / GÖT_F_01, die spezifische Ausprägungen gesellschaftlichen Zusammenhalts unterscheiden und untersuchen, welche (impliziten) Zusammenhaltsvorstellungen und damit verbundenen Praktiken in verschiedenen sozialen Milieus vorherrschen und wie sie sich auf die Stärkung beziehungsweise Gefährdung von Zusammenhalt auswirken. Sie tragen damit sowohl zur theoretischen Konzeptualisierung als auch zur empirischen Vermessung von sozialem Zusammenhalt bei und initiieren in den Transferprojekten BRE_T_01 und BRE_T_02 einen diese Forschungen begleitenden Dialog mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
Aufgrund der zentralen Bedeutung des Forschungsfelds Grundbegriffe für das gesamte Institut ist hier ein Forschungskolloquium aller Teilinstitute angesiedelt, das von FRA_F_01 organisiert wird. Es soll den institutsweiten Austausch über Grundsatzfragen des sozialen Zusammenhalts ermöglichen und den organisatorischen Rahmen für die gemeinsame Theorie- und Begriffsarbeit bilden.
Hier finden Sie eine Liste aller Forschungs- und Transferprojekte.