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Geteilte Erinnerung: Die Rolle von Erinnerungskultur für gesellschaftlichen Zusammenhalt

BIE_F_05 – Bielefeld

Zielsetzung / Fragestellung

Ohne Erinnerung wird soziale Interaktion schwierig oder unmöglich. Auch, wenn diese Feststellung zunächst trivial wirkt, sind damit auf gesellschaftlicher Ebene eine Reihe von Fragestellungen mit teilweise beachtlichen Implikationen verbunden: Welche sind die Eckpunkte einer „deutschen Erinnerungskultur“ und wo verlaufen möglicherweise Risse durch das „kollektive Gedächtnis“? Was wird in unserer Gesellschaft auf welche Weise erinnert und welche Auswirkungen haben solche – in zweifacher Hinsicht – geteilten Erinnerungen? Einerseits können gemeinsame Erinnerungen Zusammenhalt stiften oder verstärken, etwa, wenn Ereignisse erinnert werden, die gemeinsam durchlebt wurden oder wenn schlicht gemeinsam erinnert wird. Andererseits können Erinnerungen Zusammenhalt schwächen oder auflösen, etwa, wenn Konflikte darum entstehen, was erinnert werden soll, wie erinnert werden soll, oder ob überhaupt erinnert werden soll. Das Projekt befasst sich mit diesen und anderen Fragen, die sich in dem Komplex „Erinnerung und Zusammenhalt“ bündeln lassen. Es versteht Erinnerungskultur dabei nicht ausschließlich, aber insbesondere auch im Kontext der deutschen NS-Vergangenheit und nimmt damit unmittelbar Bezug auf Formen kollektiv wirksamen Erzählens sowie die affektive Dimension von Zusammenhalt. So ist jede Form kollektiver Erinnerung immer auch als Deutung dessen zu verstehen, was uns als Gesellschaft ausmacht und was gemeinsame historische Bezugspunkte sind. Solche Narrative sind nicht zuletzt wegen ihrer politischen Implikationen auch stets umstritten und können daher einerseits sozialen Zusammenhalt herstellen, andererseits gefährden, wenn kein Konsens hergestellt oder er infrage gestellt wird. Die Analyse fokussiert daher sowohl intrafamiliäre als auch interpersonale und lokale sowie gesamtgesellschaftliche Prozesse der Aushandlung von und Konflikten um Erinnerung und deren Auswirkungen auf Zusammenhalt.

Im Sinne der Kooperationsorientierung des FGZ besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Projekt JEN_F_02. Beide Forschungsprojekte geben Antworten auf die gemeinsame Leitfrage nach der Rolle von Erinnerung und einer identitätsstiftenden gemeinsamen Vergangenheit in Deutschland für den sozialen Zusammenhalt, vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Geschichte. Während das Projekt JEN_F_02 stärker die makrostrukturelle Ebene der politischen Kultur in den Blick nimmt und die Formen des Erinnerns, vor allem an den Nationalsozialismus, aus historisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive kontextualisiert, nähert sich das vorliegende Projekt der Leitfrage mit einer sozialpsychologischen Perspektive auf Ebene von Individuum, Familie und lokalen Kontexten und ist dabei stärker als empirische Gegenwartsanalyse konzipiert. Insbesondere im Teil 4 des Projekts JEN_F_02, aber auch nach Möglichkeit schon in vorherigen Arbeitsschritten, ist eine enge Verzahnung beider Projekte daher geplant.

Thematischer Bezug zu gesellschaftlichem Zusammenhalt

Geteilte Erinnerung beziehungsweise Einigkeit in Bezug auf die „gemeinsame“ Geschichte kann gesellschaftlichen Zusammenhalt auf nationaler Ebene sowohl direkt (z.B. in Form gemeinsam aktiv gelebter Erinnerungskultur als konkrete Formen sozialer Praktiken des Zusammenhalts) als auch indirekt fördern (z.B. in Form einer identitätsstiftenden gemeinsamen Vergangenheit und damit gemeinsamer Bezugspunkte als konkrete Form kollektiv wirksamen Erzählens). Das Projekt betrachtet gesellschaftlichen Zusammenhalt somit zunächst als abhängige Variable und soll einen empirisch-analytischen Beitrag zur Frage leisten, wie Zusammenhalt durch Erinnerung gestärkt oder geschwächt werden kann. Auch auf lokaler Ebene kann gemeinsame Erinnerung „im Kleinen“ (z.B. stadtteilbezogen) sowohl durch gemeinsam Erlebtes als auch durch gemeinsam Erinnertes Zusammenhalt stärken. Auch in interpersonalen beziehungsweise familiären Kontexten schließlich können gemeinsame Narrative (z.B. über die eigene Familiengeschichte als spezifische Ausprägung der affektiven Dimension sozialen Zusammenhalts) und gemeinsame Traditionen und Rituale der Erinnerung (als soziale Praktiken) den Zusammenhalt stärken.

Prof. Dr. Jonas Rees
Bielefeld

Prof. Dr. Jonas Rees

Jonas Rees hat Applied Social Psychology (M.Sc.) an der University of Sussex und Psychologie (Diplom) an der Universität Bielefeld…
jonas.rees@uni-bielefeld.de
Prof. Dr. Andreas Zick
Bielefeld

Prof. Dr. Andreas Zick

Prof. Dr. Andreas Zick ist seit 2013 Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) und Professor…
zick.ikg@uni-bielefeld.de

Projektmitarbeiter:innen

 Michael Papendick
Bielefeld

Michael Papendick

Michael Papendick ist Sozialpsychologe und Psychologischer Psychotherapeut, aktuell Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für…
michael.papendick@uni-bielefeld.de
 Leon Walter
Bielefeld

Leon Walter

Ich habe meinen B. Sc. in Psychologie zwischen 2016 und 2020 an der Universität Osnabrück und meinen Master zwischen 2020 und 2022 an…
leon.walter@uni-bielefeld.de

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10 / 2020 – 05 / 2024

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  • Cluster 3: Historische, globale und regionale Varianz des Zusammenhalts

18:00 - 19:30 Online

Vortrag und Diskussion: „Einige waren Nachbarn: Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand“

Die Verbrechen des Nationalsozialismus und die systematische Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung von Menschen in der Zeit von 1933 bis 1945 waren das Ergebnis komplexer, gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Wissen und Bewusstsein über nationalsozialistische Verbrechen in weiten Teilen der damaligen deutschen Bevölkerung sind geschichtswissenschaftlicher Forschung zufolge nicht zu leugnen. Im Gegenteil waren viele Deutsche direkt oder indirekt in die Verbrechen des Nationalsozialismus involviert, profitierten von der Verfolgung, Enteignung und Ermordung von Jüd:innen und anderen Bevölkerungsgruppen, oder ermöglichten sie durch Duldung, politische Untätigkeit oder Wegsehen. Die Vermittlung der mehrheitsgesellschaftlichen Involviertheit in die Verbrechen des Nationalsozialismus scheint jedoch als besondere Herausforderung für die historisch-politische Bildung. Die Ergebnisse empirischer Studien weisen auf fehlendes oder schwindendes Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus und die gesellschaftliche Einbettung der nationalsozialistischen Verbrechen hin. Vorstellungen von einer deutschen Bevölkerung, die unwissend oder unbeteiligt war, finden sich bis heute, und revisionistische Perspektiven auf die NS-Zeit werden nicht zuletzt von rechtspopulistischen Akteur:innen in Deutschland offensiv propagiert.

FGZ-interne Kooperationspartner:innen

Dr. habil. Mathias Berek
Berlin

Dr. habil. Mathias Berek

Dr. habil. Mathias Berek ist Kulturwissenschaftler und Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen…
berek@tu-berlin.de
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