Zusammenhalt kommentiert #SocialMedia
Die Fragmentierung digitaler Öffentlichkeiten schreitet voran - von X über Bluesky bis Mastodon. Was bedeutet diese Entwicklung für den demokratischen Diskurs? Ist die Vision einer gemeinsamen digitalen Öffentlichkeit gescheitert oder ist vielleicht das Aufbrechen dieses quasi Monopols auch eine Chance?

Aus sehr richtigen und guten Gründen kehren immer mehr Menschen und Organisationen der Plattform X den Rücken und suchen nach Alternativen, ohne dass sich jetzt bereits eine andere Plattform klar als Nachfolger etabliert hätte. Ich halte es für gut möglich, dass dieser Bereich der sozialen Medien, also das "Microblogging", zukünftig fragmentierter bleiben wird, als wir es in den 2010er Jahren bei Twitter erlebt haben. Aber diese Entwicklung ist aus meiner Sicht keine generelle Fragmentierung digitaler Öffentlichkeit, sondern erstmal "nur" eine Folge der Transformation, die Twitter/X in den letzten Jahren durchlaufen hat. In anderen Bereichen, bei TikTok oder YouTube etwa, sehen wir derzeit keine vergleichbare Ablösung oder Zersplitterung.
Das Entscheidende ist bei dieser Entwicklung meines Erachtens ohnehin etwas Anderes: Welche grundsätzlichen Organisationsmodelle werden sich durchsetzen und die digitale Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre prägen? Werden es weiterhin wenige in sich abgeschottete Dienste sein, die letztlich kommerzielle Interessen verfolgen? Oder können sich dezentrale, nicht-kommerzielle Alternativen etablieren, die an die Ursprungsidee des Internet anknüpfen, Daten und Information frei zwischen unterschiedlichen Knoten eines großen Netzwerks fließen zu lassen, statt sie in "Datensilos" zu horten? Das beinhaltet auch, ob es alternative Finanzierungsmodelle für diese digitalen Infrastrukturen gesellschaftlicher Verständigung geben wird? Ich denke da insbesondere an weiter entwickelte Varianten der öffentlich-rechtlichen Idee, Medienangebote gesellschaftlich zu finanzieren, zugleich daran aber auch Erwartungen an ihren gesellschaftlichen Auftrag und Beitrag zu einem demokratischen Zusammenhalt zu knüpfen.
Soziale Medien sollten ursprünglich demokratisierend wirken, indem sie allen eine Stimme geben. Heute sehen wir oft das Gegenteil: Desinformation, Polarisierung, Manipulation. Was ist schiefgelaufen und welche Rolle spielen dabei die kommerziellen Interessen der Plattformbetreiber?
Die beschriebenen Phänomene verdeutlichen zunächst, dass soziale Medien, wie Medien im Allgemeinen, nicht per se "gut" oder "schlecht", "demokratisch" oder "demokratiefeindlich" sind. Ihre gesellschaftlichen Folgen entstehen erst im Gebrauch durch Menschen, die ganz unterschiedliche Interessen mit ihrem Handeln verfolgen. Die erleichterten Möglichkeiten, in den sozialen Medien die eigene Stimme zu Gehör zu bringen, können marginalisierten Gruppen in Kämpfen um gesellschaftliche Anerkennung helfen. Sie können aber auch Feinden der Demokratie nutzen, die bislang aus guten Gründen keinen Platz in der Öffentlichkeit hatten.
Die kommerziellen Interessen der Plattformbetreiber spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, weil sie wesentliche Mechanismen der digitalen Medien prägen. Die großen Plattformen belohnen Inhalte, die zu Interaktion und zu längerer Verweildauer anregen, denn dann lassen sich weitere Datenspuren aufzeichnen und personalisierte Werbung verkaufen. Solche "erfolgreichen Inhalte" sind oft emotionalisierend, in politischen Debatten auch zugespitzt und reißerisch. Weil sich die Plattformen aber nicht an Vorstellungen von "public value" orientieren, besitzen sie keine hinreichenden Korrektive, um demokratieschädliche Kommunikationsformen und Inhalte auszugrenzen oder zumindest nicht mit noch mehr Sichtbarkeit zu belohnen. Lange Zeit hatte ich den Eindruck, dies sei eher unintendierte Folge der Unternehmensstrategien und Geschäftsmodelle, werde also in gewisser Weise von den Betreibern achselzuckend hingenommen, aber nicht offensiv betrieben. Die mittlerweile offen zu Tage tretenden antidemokratischen Züge von Elon Musk und anderen "Broligarchen" zeigen aber, dass politische und Geschäfts-interessen immer stärker verbunden und vermengt werden. Das verheißt nichts Gutes, fürchte ich.
Der Rückzug vieler demokratischer Akteure von X wirft die Frage auf: Überlassen wir damit wichtige digitale Räume antidemokratischen Kräften? Welche Strategien wären hier sinnvoller?
Der Rückzug ist in meinen Augen absolut richtig. Twitter hat lange davon gelebt, dass dort (auch) die journalistisch-politische Öffentlichkeit ein Vorfeld und eine Verlängerung hatte. Elon Musk hat die Plattform aber in den letzten Jahren klar erkennbar so umgebaut, dass die Spielregeln und Grenzen des demokratischen Diskurses nicht mehr gelten. Die Vorstellung, dort irgendwelche Menschen, die populistische oder extremistische Ansichten verbreiten, von der eigenen Ansicht überzeugen zu können, halte ich gelinde gesagt für naiv.
Die Hoffnung, die eigenen demokratischen Ansichten könnten dort ein Gegengewicht zu undemokratischen Stimmen sein, finde ich ehrenwert, aber wie gesagt, die Spielregeln für die Sichtbarkeit und Moderation der Kommunikation bestimmt ein antidemokratisch agierender Besitzer. Ich finde es unter diesen Umständen absolut richtig und sogar verantwortungsvoll, wenn sich demokratische Akteure - von Politiker*innen über öffentliche Einrichtungen und Institutionen bis hin zu engagierten Bürger*innen - von dieser toxischen Plattform verabschieden und denjenigen, die am demokratischen Diskurs interessiert sind, an anderer Stelle die Möglichkeit zur Information und zum Austausch bieten. Idealerweise, wie ich eben schon sagte, dann auch auf der Basis von demokratisch kontrollierten, öffentlichen Infrastrukturen.

