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Rückblick auf Online-Fachtagung „Gesellschaftlicher Zusammenhalt & Rassismus“

In welchem Verhältnis stehen gesellschaftlicher Zusammenhalt und Rassismus? Welchen Einfluss haben historische Kontinuitäten von Rassismus auf aktuelle gesellschaftliche Diskurse und Entwicklungen? Welche Erfahrungen machen aktuell Menschen, die in Deutschland von Rassismus betroffen sind? Und: Wie lassen sich Rassismuskritik und Antirassismusarbeit politisch und zivilgesellschaftlich umsetzen?

All diesen Fragen zu Rassismus, Zusammenhalt und ihrer ambivalenten Verwobenheit gingen die Beiträge und Diskussionen der FGZ-Fachtagung „Gesellschaftlicher Zusammenhalt & Rassismus“ am 9. bis 10. Dezember 2021, ausgerichtet vom Teilinstitut Jena/Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft, nach. Ziel der Tagung war es, vorhandene Ergebnisse der auch in Deutschland jahrzehntelangen Forschung zu Rassismus mit aktuellen Fragen der interdisziplinären Zusammenhaltsforschung zu verknüpfen.

Im Eröffnungsvortrag verdeutlichte Prof.in Dr. Manuela Bojadžiev (HU Berlin): Rassismus sei kein isoliertes Phänomen und nur auf individuelle Einstellungen zu reduzieren. Eine wissenschaftliche Betrachtung von Rassismus, welche ausschließlich diese Perspektive einnimmt, bleibt nur akute Symptombekämpfung. Rassismus müsse in seiner sozialen Funktionsweise verstanden und untersucht werden. Diese zeige sich auch in historisch tief verankerten Ungleichheiten in Bezug auf Reichtum, Bildung, Gesundheits- und Wohnungsversorgung, Bürgerrechte, aber auch in alltäglicher Diskriminierung sowie in fehlenden und verzerrten Repräsentationen in den Medien.

Letztere hob auch Amani Ashour (IDZ) mit den Ergebnissen einer Medienanalyse im Panel „Wer spricht? Partizipation im Kontext von Diversität und Migrantisierung“, moderiert von Viktoria Kamuf, hervor. Yonca Dege (de:part) zeigte auf, dass Menschen, die von Rassismus betroffen sind, mehr Repräsentation und politische Partizipation brauchen und fordern. Im Panel „Teil haben – Teil sein?! Oder: Kann Verwaltung machtkritisch sein?“, moderiert von Maria Schiffels, gewährte Dr. Kathrin Leipold (FGZ, Standort Konstanz/Universität Konstanz) Einblicke in das von ihr entwickelte Fortbildungsprogramm für Integrationsbeauftragte. Die Akteur:innen aus der Praxis Stefan Schlagowsky-Molkenthin und Linda Kelmendi (Stabsstelle Kommunale Integration Stadt Singen [Hohentwiel]) sowie Argyri Paraschaki-Schauer (Landesverband der kommunalen Migranten­vertretungen Baden-Württemberg) waren sich einig: Integration muss als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen der Verwaltung definiert und personell ausgestattet werden.

Dass die heutigen Machtverhältnisse in Bezug auf Klimawandelfolgen und den Klimadiskurs ihre Wurzeln im Kolonialismus haben, thematisierte Boniface Mabanza Bambu (Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika/Werkstatt Ökonomie, Heidelberg) im Panel „Neben uns die Sintflut? Klimakrise, Ethnozentrismus und exklusivistischer Zusammenhalt“, moderiert von Dr. Axel Salheiser. Der Klimarassismus in Deutschland sei durch die AfD repräsentiert und diese mobilisiere nicht die „Abgehängten“, sondern in der gesellschaftlichen Mitte, so Dr. Dennis Eversberg (FSU Jena). Christoph Richter, Fabian Klinker und Dr. Axel Salheiser (FGZ, Standort Jena/ IDZ) zeigten auf, dass sich derzeit die radikal rechte Ideologieproduktion und Online-Kommunikation zur Klimathematik in sozialen Netzwerken ausbreiten und perspektivisch die Corona-Thematik ablösen wird.

Das Panel „Geschichte und Theorie des Rassismus“, moderiert von Dr. Anja Thiele, rückte die Bedeutung der Geschichte rassistischer Diskriminierung in den Fokus – mit dem Ziel, historische Kontinuitäten von Rassismus sichtbar zu machen. Dr. Maria Alexopoulou (ZfA Berlin) plädierte für mehr historische Rassismusforschung, etwa in Form von Mikrostudien oder Oral History-Untersuchungen, um die immer noch weit verbreitete Vorstellung zu widerlegen, Rassismus sei lediglich ein Problem von Migrant:innen und ihrer Geschichte –

und nicht etwa auch wesentlicher Teil der Geschichte der Bundesrepublik. Ergänzend stellte Ines Grau (FGZ, Standort Konstanz) anhand ihrer Untersuchungen zu Erfahrungen von Vertragsarbeiter:innen in der DDR heraus, dass sowohl die historische Forschung zu Rassismus in der DDR als auch die zur alten Bundesrepublik noch immer in den Kinderschuhen steckt.

Nach der US-amerikanischen Perspektive von Brian Williams (University of Virginia) auf Rassismus als gesellschaftliches Problem und auf seine Verankerung in Institutionen endete der erste Tag im Gespräch zwischen Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani (Uni Osnabrück) und Amani Ashour (IDZ) zu seinem Buch „Wozu Rassismus?“. El-Mafaalani verglich das Verhältnis zwischen strukturellem und institutionellem Rassismus mit dem Bild einer Brandung: Während die Wellen des Meeres die strukturelle Diskriminierung darstellen, kann jeder Stein,

gegen den sie prallen als eine spezifische Institution verstanden werden. An jedem individuell unterschiedlich geformten Stein bricht das Wasser anders, nimmt die institutionelle Diskriminierung also eine spezifische Form an. Um diese jeweils besondere Ausprägung untersuchen zu können, schlug El-Mafaalani fünf Kriterien vor (Funktion, Prozesse, Personal, Klientel und weitere institutionell spezifische Rahmenbedingungen), mit denen ein institutionelles „Risikoprofil“ erstellt werden könne. In Bezug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschrieb El-Mafaalani, dass Rassismus als Ordnungsprinzip in der Vergangenheit indirekt auch einen Teil des gesellschaftlichen Kitts gestiftet habe. Doch dieser ginge zunehmend verloren. Gesellschaftliche Konflikte entstünden u. a. auch deshalb, weil die im Grundgesetz verankerte Gleichstellung aller immer besser umgesetzt werde. Daher sollten diese Konflikte als Errungenschaft langwieriger sozialer Kämpfe gewertet werden. Für offene Gesellschaften stelle der konstruktive Umgang mit Konflikten eine zentrale Kompetenz dar, um Zusammenhalt in Vielfalt gewährleisten zu können.

Dem Thema „Wissenschaftsbasierte Antirassismusarbeit – Handlungspotenziale für Politik, Institutionen und Zivilgesellschaft“ widmete sich die Podiumsdiskussion, moderiert von Cornelius Helmert, zu Beginn des zweiten Tages mit Katharina König-Preuss (Abgeordnete im Thüringer Landtag, Die LINKE), Tahera Ameer (Amadeu Antonio Stiftung) und Martin Thüne (Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei). Als positive Praxis der Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik wurde das Format der Enquetekommissionen im Vergleich zu anderen politischen Formaten, wie Parlaments- oder Ausschussanhörungen, diskutiert. In Enquetekommissionen könnten Fragestellungen aus vielfältigeren Blickwinkeln beleuchtet und Sachverständige mit unterschiedlichen Hintergründen befragt werden. Für die Enquetekommission „Rassismus“ des Thüringer Landtages wurde festgestellt, dass dies gut funktionierte und auch zivilgesellschaftliche Expertisen eingebunden werden konnten. Das Problem sei nun die mangelhafte Kenntnis und Umsetzung der Empfehlungen. Das Podium war sich einig, dass in Bezug auf Rassismus nicht wirklich die wissenschaftlichen Erkenntnisse fehlten („Die haben wir alle in der Schublade“), sondern deren Umsetzung durch die Politik. Insgesamt wünschten sich die Diskutant:innen nach der Datengewinnung von der Wissenschaft ein handlungsorientierteres und partizipatives Miteinander im Hinblick auf gemeinsame Überlegungen, was mit den gewonnenen Erkenntnissen passieren soll.

Im anschließenden Panel „Rassismus in Institutionen“, moderiert von Dr. Axel Salheiser, stellte Prof. Dr. Gert Pickel (FGZ, Standort Leipzig/Universität Leipzig) das aktuelle FGZ-Verbundprojekt „Rassismus als Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Kontext ausgewählter gesellschaftlich-institutioneller Bereiche“ vor. Dr. Merih Ates (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung) beschrieb den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa). Ergänzend zum empirischen Erkenntnisgewinn fokussierten Isabelle Stephanblome und Prof. Dr. Stefan Kroll (Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) das Recht als Instrument zur Bekämpfung von Rassismus.

Die Online-Fachtagung endete mit einem die Tagung zusammenfassendem Podiumsgespräch mit dem Titel „Kontingenz von Zusammenhalt und Rassismus: Herausforderungen für Forschung und Gesellschaft“, moderiert von Prof. Dr. Matthias Quent, mit Dr. Yasemin Shooman (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung) und Dr. Taylan Yildiz (FGZ, Standort Frankfurt).

Die Fachtagung wird in einem Tagungsband dokumentiert. Die Veröffentlichung des Tagungsbandes erfolgt im Rahmen der IDZ-Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“: https://www.idz-jena.de/schriftenreihe/ueber-die-schriftenreihe. Der Band wird voraussichtlich im Juni 2022 erscheinen.

An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an alle Vortragenden und Teilnehmenden!

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