Zivilgesellschaftliche Verantwortungsübernahme für gesellschaftlichen Zusammenhalt „vor Ort“
HAN_F_04 – Hannover
Zielsetzung / Fragestellung
Grundlegende Annahme des geplanten Projektes ist, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht „einfach da“ ist, sondern in einem territorial definierten Gemeinwesen in konkreten Praktiken hergestellt wird. Eine bedeutsame Einflussvariable des Zusammenhalts „vor Ort“ sind die jeweiligen sozialen und räumlichen Rahmenbedingungen. Darunter fallen sehr unterschiedliche Einzelfaktoren wie Zugänge zu Arbeitsmärkten, zu Bildungsmöglichkeiten oder zu öffentlichen Gütern, die Vorteile beziehungsweise Belastungen durch Infrastrukturen, durch soziodemographische und durch ökonomische Entwicklungstendenzen, aber auch die Auswirkungen unterschiedlicher politisch-administrativer Systeme sowie wohlfahrtsstaatlicher Ansätze. Es handelt sich somit einerseits um Faktoren, die sich gegenseitig bedingen. Andererseits sind sie tiefgreifenden Veränderungen unterworfen und insgesamt ungleich verteilt, was sich sowohl auf nationaler Ebene (zum Beispiel zwischen ländlichen und städtischen oder zwischen ostdeutschen und westdeutschen Regionen) als auch – in einem sehr viel deutlicheren Ausmaß – auf europäischer Ebene beobachten lässt (zum Beispiel zwischen Regionen in Westeuropa und Südosteuropa).
Eine weitere Einflussvariable örtlichen Zusammenhalts ist zivilgesellschaftliche Verantwortungsübernahme, die ihrerseits in Verbindung zu sozialräumlichen Ungleichheiten steht. Unterschiedliche Formate der Verantwortungsübernahme können Disparitäten mildern und gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Allerdings kann das Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure ebenso Ungleichheiten katalysieren und Zusammenhalt „vor Ort“ beeinträchtigen. Dies ist der Fall, wenn zum Beispiel gegensätzliche Ziele, Handlungslogiken und Raumdeutungen in Konflikten, Ausschluss und Marginalisierungen resultieren. Schließlich kann die Wahrnehmung einer sozial-räumlich benachteiligten Lage auch in Passivität und Wandlungsresistenz münden.
Vor diesem Hintergrund ist das Ziel der Untersuchung, die Verbindungslinien zwischen i) sozialen und räumlichen Rahmenbedingungen, ii) zivilgesellschaftlicher Verantwortungsübernahme und iii) gesellschaftlichem Zusammenhalt „vor Ort“ national und international vergleichend zu analysieren. Vertiefte Kenntnisse aus Untersuchungen in sozialräumlich unterschiedlich charakterisierten Regionen sollen eine Grundlage zur Ableitung von Handlungsmöglichkeiten für Akteur*innen aus Politik und / oder Raumplanung legen. Diese sollen damit befähigt werden, durch Neugestaltungen beziehungsweise Veränderung der Verbindungslinien gesellschaftlichen Zusammenhalt positiv zu beeinflussen.
Thematischer Bezug zu gesellschaftlichem Zusammenhalt
Das vorgeschlagene Projekt widmet sich aus einer empirisch-analytischen Perspektive den übergeordneten Fragestellungen des FGZ nach Voraussetzungen, Quellen und Gefährdungen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Gesellschaftlicher Zusammenhalt wird dabei als abhängige Variable gesehen, die von zwei in vielfältiger Weise interagierenden Faktoren mitbestimmt wird: i) sozialen beziehungsweise räumlichen Ungleichheiten und ii) zivilgesellschaftlicher Verantwortungsübernahme. Mit dieser Ausrichtung ergibt sich auch eine unmittelbare Anschlussfähigkeit an die in der Heuristik des FGZ dargelegten konstitutiven Elemente gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Mit sozialräumlichen Ungleichheiten wird ein konkretisierter Teilaspekt derjenigen sozioökonomischen Faktoren angesprochen, die soziale Beziehungen rahmen und aus denen sich gesellschaftlicher Zusammenhalt ergibt. Der Projektfokus auf zivilgesellschaftlich engagierte Akteur*innen, ihre Ziele, Raumdeutungen, raumbezogenen Identifikationen und Emotionen adressiert zudem affektive ebenso wie kognitive Aspekte gesellschaftlichen Zusammenhalts. Darüber hinaus ist vorgesehen, die empirisch-analytischen Ergebnisse in Handlungsempfehlungen zu überführen, wodurch Beiträge zu der übergeordneten Fragestellung hinsichtlich politischer Handlungsempfehlungen geliefert werden.
Die Ausgangsthese dieses Projektes ist, dass sich die Praktiken des sozialen Zusammenhaltes zwischen i) städtischen und ländlichen Regionen in Deutschland, ii) zwischen Stadtregionen in Ost- und Westdeutschland und iii) zwischen Stadtregionen in verschiedenen europäischen Ländern unterscheiden. Daher werden räumliche Kontextabhängigkeiten, Gelingensbedingungen und Bedrohungen gesellschaftlichen Zusammenhalts entlang dieser Unterscheidungskategorien und somit explizit im internationalen Kontext untersucht. Damit knüpft das Projekt an die notwendige international-vergleichende Perspektive in Hinblick auf die Leitfragen des Instituts an. Es kann raumbezogene Beiträge zur Bearbeitung übergeordneter Fragestellungen liefern, die erst durch internationale Vergleiche umfassend beantwortet werden können, wie etwa nach den Konsequenzen der Globalisierung für gesellschaftlichen Zusammenhalt.
PD Dr. Sylvia Herrmann
Prof. Dr.-Ing. Frank Othengrafen
Projektmitarbeiter:innen
Dr. Jessica Baier
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06 / 2020 – 05 / 2024:
- Cluster 2: Strukturen, Räume und Milieus des Zusammenhalts
- C2: Milieu und soziale Ungleichheiten
- C2: Raum und Region