Qualitatives Panel: Milieuspezifische Praktiken der Gefährdung und Wahrung gesellschaftlichen Zusammenhalts
BRE_F_02 – Bremen
Zielsetzung / Fragestellung
Die qualitative Paneluntersuchung leistet auf methodisch innovative Weise einen empirisch-analytischen Beitrag zur Untersuchung der sozialen Praxis des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Dabei werden gleichermaßen die Arbeits- und Lebenswelt von Individuen (Mikro- und Meso-Ebene) wie auch sozioökonomische Faktoren und die Infrastrukturen beziehungsweise öffentlichen Güter, die gesellschaftlichen Zusammenhalt ermöglichen oder gefährden (Makro-Ebene), ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Die zentralen Fragestellungen des qualitativen Panels beziehen alle Elemente der generellen Forschungsheuristik des FGZ mit ein – wobei hier die sozialen Praktiken in ihrer Prägung durch und Rückwirkung auf Einstellungen und soziale Beziehungenim Fokus stehen. Die Leitfragen lauten:
- An welchen expliziten oder impliziten Einstellungen zu gesellschaftlichem Zusammenhalt orientieren sich die verschiedenen Statusgruppen und Milieus in ihren Praktiken der Lebensführung?
- In welchen Beziehungen und Netzwerken sowie in welchen institutionellen Zusammenhängen vollzieht sich die Lebensführung?
- Welche eigenen oder bei anderen beobachteten Praktiken der Lebensführung ergeben sich aus diesen persönlichen Vorstellungen und sozialen Kontexten? Welche dieser Praktiken können sich gefährdend oder stärkend auf gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirken? In welcher Weise wird das wahrgenommen und wie wird darauf reagiert? Oder handelt es sich bei den negativen oder positiven Auswirkungen auf Zusammenhalt um nicht-intendierte Effekte?
Thematischer Bezug zu gesellschaftlichem Zusammenhalt
Die Panelerhebung erlaubt den systematischen Vergleich zwischen verschiedenen Milieus, aber auch zwischen Befragten desselben Milieus, und der dort teils konflikthaft, teils konsensgestützt praktizierten Vorstellungen eines gelingenden Zusammenhalts. Durch die Etablierung eines qualitativen Haushaltspanels in ausgewählten Regionen Deutschlands, das verschiedene berufliche Statusgruppen und soziale Milieus (lokale Oberschichten, Mittelschichtsangehörige, prekär Beschäftigte, Erwerbslose) einbezieht, wird die Analyse von sozialen Praktiken in ihren Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Lebensbereichen (Arbeit, Familie, Nachbarschaft etc.) und in ihren Veränderungen über die Zeit (als Zukunftserwartungen und -planungen, als Reaktionen auf und Anpassungen an Veränderungen) ermöglicht. Auf dieser Basis kann gezielt untersucht werden, welche intendierten wie auch nicht-intendierten Effekte soziale Praktiken in verschiedenen Statusgruppen und Milieus auf die Stärkung wie auch Gefährdung gesellschaftlichen Zusammenhalts haben.
Am Bremer Standort werden als Analyseschwerpunkte der Auswertungen die Milieus der Mittelschichten mit ihren biographischen Orientierungen und Praktiken der Lebensführung in ihren Auswirkungen auf gesellschaftlichen Zusammenhalt vertiefend betrachtet.
Am Göttinger Standort stehen das Zusammenwirken von Arbeits- und Lebenswelten sowie die teils konflikthafte sozialstrukturelle Positionierung verschiedener beruflich-sozialer Statusgruppen und damit möglicherweise einhergehende Entsolidarisierungsprozesse im Fokus.
In der Panelstudie werden die Befragten nicht nur als Einzelpersonen, sondern in ihren kollektiven Bezügen als Haushaltsmitglieder, Familienangehörige, Arbeitskolleg*innen oder Nachbar*innen betrachtet. Aus diesen Beziehungen und Netzwerken heraus werden ihre Einstellungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie ihre den Zusammenhalt schwächenden oder stärkenden Praktiken untersucht. Das Handeln der Befragten wird im qualitativen Panel darüber hinaus ganzheitlich als diachrone und synchrone Lebensführung betrachtet. Im Unterschied zu anderen Umfragen werden soziale Praktiken und Einstellungen nicht aus dem jeweiligen Augenblick heraus und sphärenspezifisch isoliert erhoben – zum Beispiel als politisches Engagement hier und heute getrennt vom Konsumentenhandeln oder beruflichen Karrierestreben und vom politischen Engagement gestern.
Besonderes Augenmerk wird auf zwei Arten von Inter-Milieu-Relationen gerichtet, die für gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig sind: 1. Wie stark verbinden und mischen sich soziale Milieus in Familien, Freundschaften, Nachbarschaften, Vereinen, Arbeitsorganisationen, Familien, Bildungseinrichtungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und medialen Diskursräumen – und in welchem Grad schotten sie sich gegeneinander ab und verstehen einander immer weniger? 2. Wie groß ist die empfundene oder auch gezielt gesuchte Konkurrenz mit anderen Milieus um gesellschaftlichen Status – und welche milieuübergreifenden Solidaritäten gibt es? Beide Relationen werden auch durch politisch gestaltbare institutionelle Kontexte gerahmt.
So wie gesellschaftlicher Zusammenhalt damit aus Praktiken der Lebensführung resultiert, werden diese umgekehrt durch die Art des je gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhalts geprägt. Genau diese Mikro-Makro-Verbindung steht im Zentrum. In welcher Weise spiegelt sich Gesellschaftlichkeit in der je individuellen Lebensführung und geht umgekehrt aus deren vielfältiger Figuration hervor? Dabei wird die Meso-Ebene keineswegs ausgeblendet, sondern hat in Gestalt handlungsprägender und -fähiger sozialer Gebilde einen nicht zu vernachlässigenden intermediären Status – etwa als Arbeitsorganisationen, wohlfahrtsstaatliche Leistungsanbieter, politische Parteien oder Bürgerinitiativen.
Prof. Dr. Uwe Schimank
Prof. Dr. Berthold Vogel
Dr. Natalie Grimm
Projektmitarbeiter:innen
Dr. Andrea Hense
Dr. Stefan Holubek-Schaum
Ina Kaufhold
Arne Koevel
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06 / 2020 – 05 / 2024:
- Cluster 2: Strukturen, Räume und Milieus des Zusammenhalts
- C2: Arbeits- und Lebenswelten
- C2: Milieu und soziale Ungleichheiten
- C2: Raum und Region
„Roter Saal“, Historische Sternwarte Geismar Landstraße 11 37083 Göttingen