Vorurteile und Stereotypisierungen in den Jobcentern? Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II
INRA_B03 – Konstanz
Zielsetzung/Fragestellung
Laut Zweitem Sozialgesetzbuch bestehen die gesetzliche Aufgaben und Ziele der Jobcenter darin, mit dem Bürgergeld bzw. dem früheren Arbeitslosengeld II die Würde der Menschen zu sichern, die Erwerbsfähigkeit einer leistungsberechtigten Person zu verbessern sowie ihre Hilfebedürftigkeit zu verringert (§1 SGB II). Um diese Ziele zu erreichen, ist es wichtig, die Biografien von leistungsberechtigen Personen zu betrachten und zu untersuchen, welchen Einfluss spezifische Merkmale wie die Zugehörigkeit zu einer Minderheit (hier: Angehörige ethnischer Minderheiten) auf den Erfolg von Erstanträgen, Folgeanträgen und Widersprüchen haben. Indem das Teilprojekt die Verschränkung dieser Faktoren analysiert, leistet es einen wichtigen Beitrag für die wissenschaftliche Forschung im Sozialleistungsbereich.
Das Projekt unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Erscheinungsformen von alltäglicher Diskriminierung in Institutionen. Es fragt, wie systematisch bürokratische Entscheidungen durch Vorurteile und Stereotypisierungen geprägt sind. Während Vorurteile eventuelle rassistische Einstellungen der Entscheidungsträger erfassen, lassen sich Stereotypisierungen bei einer besseren Informationslage zu den einzelnen Anträgen und Widersprüchen zumindest teilweise überwinden. Das Projekt erfasst die Dimensionen der Diskriminierung, indem es Umfragen unter den Sachbearbeiter:innen mit der Analyse von Entscheidungsdokumenten von ca. 40 Jobcentern kombiniert, um die Entscheidungsprozesse möglichst realitätsgerecht analysieren zu können.
Arbeitsschritte
Zunächst werden in Jobcentern standardisierte Befragungen mit für Sachentscheidungen zuständigen Personen durchgeführt. Dafür wird ein bestimmtes Verfahren aus der Umfrageforschung genutzt, sogenannte Umfrageexperimente. Dabei werden Befragten hypothetische Szenarien gezeigt (in diesem Fall Bürgergeld Antragsstellungen, Widersprüche, Maßnahmen wie Diversitätstrainings etc.), wobei in den Szenarien verschiedene Kundeneigenschaften wie der Name, das Geschlecht oder die Ethnie zufällig variiert werden können.
Danach werden die Akten mit (Erst-)Anträgen auf Bürgergeld mithilfe einer computergestützten Inhaltsanalyse ausgewertet. Dadurch kann das Team der Universität Konstanz testen, ob ein Migrationshintergrund der antragsstellenden Person bei sonst gleichem Sachverhalt die Erfolgschancen der Anträge und Widersprüche mindert oder erhöht. Das bietet eine objektivere Messung und Analyse von möglicherweise diskriminierenden Entscheidungen als in bisherigen Studien.
Ein besonderes Augenmerk bei den statistischen Analysen und Interviews gilt dabei der Frage, inwiefern bessere Informationen die allfällige Diskriminierung reduzieren und ob Maßnahmen wie Diversitätstrainings Diskriminierung im Behördenverhalten schmälern können. Dadurch kann die Hilfebedürftigkeit von Personengruppen mit spezifischen Merkmalen effektiver reduziert werden. Das Projekt verspricht eine umfassende Analyse des möglichen alltäglichen Rassismus in einem Bereich, der für die gesellschaftliche Integration und die Teilhabe von Minderheiten von zentraler Bedeutung ist.
Prof. Dr. Gerald Schneider
Jun.-Prof. Dr. Jan Vogler
Projektmitarbeiter:innen
Stefanie Rueß
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01 / 2022 – 12 / 2024:
- InRa-Studie „Institutionen & Rassismus"
- InRa B: Fallstudien zu Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene