Migrantische und minoritäre Vorstellungen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Transnationale und translokale Dimensionen
D_10 – Berlin – Bielefeld
Das Arbeitspaket (AP) untersucht, welche zusammenhaltsrelevanten Identitäten und Vorstellungen Migrant:innen und Mitglieder von Minoritäten entwickeln und welchen Einfluss diese auf deren Vorstellungen und Praxen des gesellschaftlichen Zusammenhalts haben. Damit verbunden ist die Frage, welchen Einfluss dabei Ungleichheits- und Hegemoniewahrnehmungen und -verhältnisse sowie transnationale und translokale Identifikationsoptionen haben. Aufschluss dazu werden empirische Analysen mit Gruppen in der BRD sowie historisch und transnational vergleichende Untersuchungen geben. Dies ermöglicht einen interdisziplinären Austausch darüber, wie Gegenkulturen und hegemoniale Kulturen interagieren, zusammenhängen oder in Konkurrenz treten – in unterschiedlichen Kontexten und in Bezug auf unterschiedliche Diversitätsmarker und Wirkungsfelder. In Frage steht dabei, wo in diesem dynamischen Prozess Konzepte gesellschaftlichen Zusammenhalts reflektiert, imaginiert und verhandeln werden.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ein umstrittenes und konfliktreiches Konzept insbesondere für jene Gruppen, die weniger Zusammenhalt erfahren, weil sie nicht per se als zugehörig zu einer Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden. Der Zusammenhalt wird zudem in einem Prozess der Aushandlung entwickelt und ist weniger als ein Endergebnis oder Zustand zu begreifen. In diesem Sinne wird Zusammenhalt von minoritären Gruppen in einem diskursiven Konflikt zwischen hegemonialen und Gegennarrativen innerhalb einer Gesellschaft entwickelt. Dies gilt in besonderer Weise für soziale Gruppen, die weniger Einfluss auf die Politik und weniger Interaktion mit der Mehrheitgesellschaft haben, wozu (Post-)Migrant:innen oder „Ausländer“ im Besonderen gehören. Sie erfahren oft nur einen partiellen Zusammenhalt, obwohl die Mehrheitsgesellschaft von ihnen einen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt erwartet. Der partielle Zusammenhalt ist in Krisenzeiten oder Zeiten hoher Unsicherheiten und damit verbundener sozialer Instabilitäten zu erwarten, da Krisenzeiten nach unseren Analysen dazu neigen, dass die Mehrheitsgesellschaft ein exklusives Konzept von Zusammenhalt einfordert und migrantische Gruppen vom Zusammenhalt ausschließt. In solchen Zeiten kommt es auf die Optionen an, die migrantische und minoritäre Gruppen haben, Zusammenhalt herzustellen und an ihm teilzuhaben. Neben der Möglichkeit, sich mit einem Nationalstaat (Deutschland) zu identifizieren, haben sie auch die Option, sich mit der ethnonationalen Gruppe oder der Herkunftsregion zu identifizieren und den Zusammenhalt an dieser Identität auszurichten. Eine weitere Option kann aber auch darin bestehen, sich auf einen übergeordneten, in diesem Fall supranationalen, Zusammenhalt zu konzentrieren, wie ihn der europäische Zusammenhalt bietet.
Das erste Hauptziel des AP ist, empirisch zu analysieren, wie migrantische Gruppen den gesellschaftlichen Zusammenhalt wahrnehmen, welchen Zusammenhalt sie erleben und welchen Modus sie wählen. Untersucht werden dabei besonders die sozialen Repräsentationen von gesellschaftlichem Zusammenhalt sowie die Erfahrung von Integrität als Gruppe. Die Analysen richten sich dabei auf den innergesellschaftlichen Zusammenhalt. Das zweite Hauptziel erweitert diesen Fokus um eine historische Dimension. Dabei stehen Vorstellungen von Zusammenhalt der Gesellschaft als Ganzes, die migrantische und minoritäre Gruppen, wie z.B. die jüdische Gemeinschaft, angesichts multipler hegemonialer und teilweise gewaltvoller exkludierender Verhältnisse entwickelt haben, im Fokus. Dabei soll es auch um die Frage gehen, ob und wie es derartige Vorstellungen geschafft haben, zum Teil der Hegemonialkultur zu werden oder diese gar grundlegend zu transformieren. Dieser Konnex soll skaliert untersucht werden: Von zwei diversen, „translokalen“ Städten ausgehend, wie sie Thessaloniki und Berlin darstellen, soll für das 20. Jahrhundert schlaglichtartig untersucht werden, a) ob und wie einzelne migrantische/minoritäre Individuen, Selbstorganisationen oder Bündnisse im Kampf um Teilhabe und Gleichberechtigung vor Ort auch Visionen/Ideen eines allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhalts entwickelt haben und wie diese aussahen. Es soll b) ermittelt werden, ob und wie diese Beiträge auf dem lokalen, nationalen, translokalen/-nationalen Level rezipiert und gar wirksam wurden. Und schließlich fragt sich c), ob dies dazu beigetragen hat, diese Städte erst zu translokalen Orten zu transformieren, und ob sich Translokalität als eine besondere Form eines gesellschaftlichen Zusammenhalts betrachten lässt.
Dr. Maria Alexopoulou
Dr. Aydın Bayad
Prof. Dr. Andreas Zick
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06/2024-05/2029Praxispartner:innen
- Multikulturelles Forum e.V. (Dortmund)
- FHXB Friedrichshain-Kreuzberg-Museum (Berlin)