Vom Zensus zur Zusammenhalts-Studie. Über Wandlungen der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung seit dem 19. Jahrhundert
Abstract
Der Beitrag versucht, kursorisch und in zwei Fällen exemplarisch unterschiedliche Modi der gesellschaftlichen Selbstbefragung zu rekonstruieren. Diese Selbstbefragung wird als eine zur Organisation moderner Gesellschaften unerlässliche Aufgabe skizziert, die vor allem empirisch-statistische Methoden, später auch systematische Befragungen nutzte, um Verwaltungswissen zu den Verhältnissen und den Bedürfnissen der Bürger:innen zu generieren. Dies diente zur Vermessung der jeweiligen Verfasstheit einer Gesellschaft, wobei sich eine spezifische Spannung zwischen den säkularen Tendenzen zu einer Individualisierung bzw. Autonomisierung gegenüber einer Vergemeinschaftung zeigten. Wiederkehrende Motive dieser Erhebungen werden am Beispiel der Jugendforschung sowie der fortgesetzten Rede von den »kleinen Leuten« diskutiert. Beide Diskurse waren von der Sorge geprägt, nachwachsende oder vermeintlich an die soziale Peripherie geratende Schichten der Gesellschaft zu »verlieren« bzw. deren Haltungen als potentielle Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu identifizieren. In der Rückschau erweist sich die starke Kontextabhängigkeit einer Interpretation der jeweiligen Ergebnisse unterschiedlicher Selbstbeobachtungen und wird schließlich die Forderung vertreten, stärker auf Vorgeschichten, fortlaufende Motive und zeitliche Abläufe zu achten, um Prozesse der Ausbalancierung zwischen Autonomisierung und Zusammenhalt einzuschätzen.
Sources
van Laak, Dirk. 2024. Vom Zensus zur Zusammenhalts-Studie. Über Wandlungen der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung seit dem 19. Jahrhundert. In: Varianzen des Zusammenhalts Historisch und transregional vergleichende Perspektiven, hg. von Matthias Middell, 31–58. 1. Auflage. Gesellschaftlicher Zusammenhalt 3. Frankfurt: Campus.