Workshop „Empirische Affektforschung“
Tagung
Die in den Cultural Studies begründeten Affect Studies (u. a. Ahmed 2004; Clough/Halley 2007; Massumi 2015), werden zunehmend in den deutschsprachigen Sozialwissenschaften und verwandten Disziplinen rezipiert. Der Begriff des „Affekts“ betont Relationalität und Leiblich- bzw. Körperlichkeit – und bietet ein Korrektiv für die oftmals kritisierte Körpervergessenheit der Soziologie, auch der Emotionssoziologie. Durch den Affektbegriff entstehen neue Fragen und Probleme, vor allem in methodischer Hinsicht, die jedoch bislang nur zögerlich in methodologischen oder methodischen Diskussionen aufgegriffen werden (v.a. mit Ausnahme der Beiträge in Timm Knudsen/Stage 2015, Kahl 2019).
An diese Lücke schließt der geplante Workshop an und adressiert folgende Fragekomplexe: Auf welche Weise kann dem relationalen Moment affektiver Beziehungen methodisch Rechnung getragen werden? Wie lassen sich diffuse Atmosphären an einem Ort untersuchen und rekonstruieren? Wie prägen materielle Umgebungen affektive Beziehungen? Welche etablierten methodischen Zugänge lassen sich anwenden oder für die Affektforschung weiterentwickeln? Gerade das leibliche bzw. körperliche Spüren, das Zurücktreten von Sprache und Repräsentation im Affekt, ist eine empirische Herausforderung für die Sozialwissenschaften, die auf Sprache und Zeichen beruhen. Darüber hinaus erscheint es notwendig, die Affizierung der Forschenden und deren Auswirkungen auf den Forschungsprozess und etwaige Ergebnisse zu hinterfragen.
Eine eigenständiges methodisches Programm der empirischen Affektforschung gibt es bislang noch nicht. Der Workshop widmet sich den vielfältigen methodischen Herausforderungen der empirischen Affektforschung und soll methodologische Diskussionen vorantreiben. Damit sollen Grundlagen für eine Methodologie und Methodik der empirischen Affektforschung ausgearbeitet werden, die zukünftige empirische Arbeiten inspirieren. Dazu greifen wir Impulse aus der Emotionssoziologie, der Ethnologie sowie den Politik- und Medienwissenschaften auf.
Der Workshop ist so konzipiert, dass die Teilnehmenden in ihren Inputs anhand von Datenausschnitten konkrete analytische bzw. empirische Fragen und Forschungserfahrungen aus verschiedenen disziplinären und methodischen Hintergründen vorstellen. In jeder Session gibt es zunächst einen Input-Vortrag, in dem anhand des eigenen Materials methodische Herangehensweisen an affektive Untersuchungsgegenstände vorgestellt werden. In der anschließenden Diskussion werden sowohl die theoretischen Vorannahmen (u.a. Definition von Affekt) als auch die Konsequenzen für die empirische Forschung (analytisches Vorgehen, Grenzen und Möglichkeiten potenzieller Forschungsgegenstände) gemeinsam reflektiert.
Ein Schwerpunkt des Workshops liegt auf ethnographischen Zugängen, die Leiblichkeit und wahrnehmende Erfahrungen im Forschungsprozess per definitionem Platz einräumen und daher besonders anschlussfähig für die Affektforschung erscheinen. Auf welchen Wegen nähern sich Ethnograph*innen affektiven Forschungsgegenständen? Wie zirkulieren Affekte in unterschiedlichen Forschungsfeldern? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Affekten, Feld und Forscher*in? Darauf aufbauend wollen wir ausloten, inwiefern ethnographische Prozesslogiken auch für andere methodische Zugänge in der Affektforschung fruchtbar gemacht werden können.
Ein zweiter Fokus liegt auf den Potenzialen mündlicher sowie schriftlicher verbaler Daten für die Affektforschung. Eine zentrale Frage dreht sich darum, ob und wie das in der qualitativen Sozialforschung weit verbreitete „klassische“ Interview oder auch Texte zur Analyse von Affekten genutzt werden können. Welchen methodischen Stellenwert haben verbale oder schriftliche Beschreibungen von Stimmungen oder Atmosphären? Wie lassen sich affektive Dynamiken in Interviewsituationen oder Texten rekonstruieren und wie stehen diese wiederum im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand? Lassen sich anhand von Narrativen affektive Phänomene rekonstruieren und wenn ja, wie ist das möglich?
Diese und weitere Fragen werden Teilnehmende mit unterschiedlichen methodischen Hintergrundperspektiven gemeinsam erörtern. Das weiterführende Ziel ist weniger die Diskussion einzelner Arbeiten, sondern vielmehr die kollaborative und kreative Entwicklung von Perspektiven und Methoden, welche die empirische Affektforschung voranbringen.