Institutioneller Antisemitismus als Analyseperspektive
Abstract
In Deutschland als einer postnationalsozialistischen Gesellschaft ist Antisemitismus ein medial, pädagogisch, politisch und wissenschaftlich viel diskutiertes gesellschaftliches Verhältnis. In Deutschland als einer postmigrantischen Gesellschaft verfügt die Mehrzahl der hier lebenden Juden:Jüdinnen über einen Migrationshintergrund. Umso erstaunlicher ist es, dass die konkreten Alltagserfahrungen, die Juden:Jüdinnen mit gegenwärtigem Antisemitismus machen, bisher nur selten Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung sind – und zwar weder in der Migrations- noch in der Rassismus- oder Antisemitismusmusforschung. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich bisher vor allem mit Antisemitismus als einer Weltanschauung befasst, mit der negative Erscheinungsformen der Moderne auf die Figur „des Juden“ projiziert werden und die damit bestimmte psychologische Funktionen für ihre Träger*innen erfüllt (Kirchhoff 2020). In der welterklärenden Ideologie des Antisemitismus werden Juden:Jüdinnen als übermächtige Feinde imaginiert, die tradierte Ordnungsprinzipien sowie (nationale) Selbstbilder in Frage stellen. Der Fokus dieser Forschung liegt auf dem (richtigen) Verständnis, dass Antisemitismus auf Projektion basiert, nicht auf dem realen Verhalten von Juden:Jüdinnen – er ist, um eine Bezeichnung von Theodor W. Adorno aufzugreifen – »das Gerücht über die Juden«. Dieser Fokus zeigt sich indirekt auch in quantitativen Untersuchungen, die die Verbreitung antisemitischer Einstellungen messen.
Sources
Karakayali, Juliane und Sina Arnold. 2024. Institutioneller Antisemitismus als Analyseperspektive. SozBlog - Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. 11.09.2024. url: https://blog.soziologie.de/2024/09/institutioneller-antisemitismus-als-analyseperspektive/.