D_06 Transformation der gesellschaftlichen Verständigungsordnung
Standorte: | Hamburg |
Fachdisziplinen: | Kommunikations- und Medienwissenschaften |
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Abstract
Gesellschaftlicher Zusammenhalt braucht Verständigung. Dies gilt sowohl zwischen einzelnen Menschen, als auch zwischen politischen Bewegungen, Interessensgruppen oder gesellschaftlichen Lagern. Die digitalen Medien haben die Rahmenbedingungen dieser Verständigung verändert. Sie bestimmen mit, wie wir uns über gesellschaftlich relevante Fragen austauschen und Probleme lösen. Das Arbeitspaket untersucht diesen Wandel unserer Verständigungsordnung.
In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für gesellschaftliche Verständigung grundlegend verändert. Einige Menschen zweifeln etwa daran, dass Journalismus und Wissenschaft noch verlässliches Wissen über die Welt bereitstellen. Sie suchen nach alternativen Wissensquellen. Weil es einfach ist, persönliche Ansichten mit anderen zu teilen, verbreiten sich Desinformationen leichter. Algorithmische Empfehlungen vieler sozialer Medien fördern zudem Zuspitzung und Konfrontation. Unter diesen Bedingungen fällt es schwer, Debatten ausgewogen zu führen und sich darüber zu verständigen, wie unsere Probleme zu lösen sind.
Das Arbeitspaket untersucht, wie sich diese Veränderungen auf den Zusammenhalt auswirken. Es bündelt seine Forschung unter dem Begriff der „gesellschaftlichen Verständigungsordnung“. Damit sind Strukturen gemeint, die Verständigungsprozessen Stabilität und Sinn verleihen. Darunter fallen rechtliche Rahmenbedingungen für Freiheit und Grenzen öffentlicher Debatten sowie organisatorische und finanzielle Spielräume von Medienorganisationen. Dazu gehören auch Erwartungen, Normen und ungeschriebene Regeln, an denen sich Diskussionsteilnehmer:innen orientieren. Und es zählen die technischen Vorgaben und Möglichkeiten von Social-Media-Plattformen, KI- und anderen Werkzeuge dazu. Für die Untersuchung greift das Arbeitspaket auf den Forschungsstand aus Kommunikations- und Medienwissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft zurück. Innerhalb des FGZ kooperiert es mit dem „Social Media Observatory“ sowie dem Qualitativen Panel.
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Inhalte des Arbeitspakets
Das Arbeitspaket (AP) hat zum Ziel, theoretisch-konzeptionelle Grundlagenarbeit zu leisten, um mit Hilfe des Konzepts der „Verständigungsordnung“ die Leitfragen des Themenfelds D nach Grundlagen und Bedingungen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Wissen, Werte und Identitäten beantworten zu helfen. Im Schwerpunkt Mediatisierungsdynamiken wird es insbesondere daran arbeiten, die ineinander verschränkten Prozesse von Medien- und Gesellschaftswandel aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive zu reflektieren und – unter Rückgriff auf empirische Befunde aus dem Qualitativen Panel und dem Social Media Observatory – ihre Konsequenzen für den demokratischen Zusammenhalt herauszuarbeiten.
Praktiken der Verständigung zwischen Individuen, sozialen Gruppen, Organisationen oder ganzen gesellschaftlichen Bereichen wie Politik, Wissenschaft oder Medien ermöglichen die Generierung von kollektiv geteilten Wissensbeständen, die Identifizierung von kollektiv relevanten Themen, Problemen oder Zielen, und die Aushandlung von kollektiv akzeptierten Wegen zu ihrer Lösung bzw. Realisierung. Die soziale Rahmung dieser Praktiken verstehen wir als „Verständigungsordnung“. Damit meinen wir einerseits die Strukturen, die der gesellschaftlichen Verständigung eine Ordnung (und damit sowohl übersituative Stabilität als auch inneren Sinn) geben, andererseits aber auch die Praktiken und Prozesse des Ordnens gesellschaftlicher Verständigung (die analytisch von Praktiken der Verständigung selbst zu unterscheiden sind).
Die Etablierung und beständige Innovationsdynamik digitaler Medien führt in Hinblick auf die gesellschaftliche Verständigungsordnung dazu, dass die lange vergleichsweise unangefochtene epistemische Autorität des Journalismus und der Wissenschaft herausgefordert werden. Kollaborative Arenen wie Wikipedia oder sozialmediale persönliche Öffentlichkeiten (etwa von Influencer:innen) sind durch andere Strukturen der Bereitstellung, Prüfung und Distribution von Wissen als Journalismus oder Wissenschaft gekennzeichnet. Die gesunkenen Zutrittshürden zu Öffentlichkeit begünstigen in diesem Zuge auch die Verbreitung von Desinformationen. Zudem ist bereits jetzt absehbar, dass sich gesellschaftliche Verständigung verändert, wenn sich vermehrt Maschinen an Kommunikation beteiligen, z.B. in Gestalt von ChatGPT oder digitalen Sprachassistenten.
Zur Transformation der Verständigungsordnung gehört aber auch, dass an den o.g. Verständigungsprozessen (Wissensgenerierung; Themensetzung; Problemidentifizierung; Aushandlung kollektiv akzeptierter Lösungen) neuartige kommunikative Figurationen beteiligt sind – etwa Meme-Gemeinschaften oder Hashtag Publics –, die erst durch die technischen Affordanzen der digitalen Medien entstehen können. Sie sind nicht nur Ausdruck veränderter Partizipationspraktiken und -erwartungen, die auf veränderte Leistungs- und Publikumsrollen hinweisen. In ihnen manifestiert sich auch „konnektives Handeln“ als Modus der politischen Teilhabe im engeren Sinn, der (über den Journalismus und die Wissenschaft hinaus) auch das Funktionssystem der Politik herausfordert.
Weil diese Technologien und Praktiken auch extremistischen Gruppen und anderen Feinden der offenen Gesellschaft zur Verfügung stehen, ist es von besonderer Bedeutung, die Transformation der Verständigungsordnung zu verstehen und ihre Folgen für den demokratischen Zusammenhalt zu reflektieren. Das AP wird dazu einen konzeptionell-theoretischen Beitrag leisten, der in verschiedenen Schritten im Rahmen des Themenfelds D sowie mit weiteren thematisch verwandten AP diskutiert, geschärft, und durch empirische Arbeiten unterfüttert wird.